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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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geschieht es nicht aus Zweifel an dir und mir, sondern an dem, was möglich ist!»
    (Als sie dann schließlich zurückkehren, ist alles in ganz guter Ordnung; der sich selbst gegen Katastrophen schützende Automatismus des Lebens. Sie haben bloß eine Reise gemacht, die Rechtsanwälte zaudern noch und so weiter ...)
    [◁]

89
    Hermaphrodit
    [Früher Entwurf und Studie]
    Der blaue Schirm des Himmels spannte sich über den grünen Schirm der Kiefern; der grüne Schirm der Kiefern spannte sich über die roten Korallenstämme, am Fuß eines Korallenstammes saß Clarisse und spürte an ihrem Rücken die großen, gürteltierartigen Schuppen der Rinde.
    Meingast stand seitlich von ihr in der Wiese. Der Wind spielte um seine Magerkeit wie um die Gitter eines stählernen Turms; Clarisse dachte: wenn man das Ohr hinhalten dürfte, müßte man seine Gelenke singen hören. Ihr Herz fühlte: Ich bin sein jüngerer Bruder.
    Die Kämpfe mit Walter, diese versuchten Umarmungen, aus denen sie sich fortstemmen mußte – herausmeißeln nannte sie es —, obgleich sie selbst nicht aus Stein bestand, hatten eine Erregung in ihr hinterlassen, die zuweilen wie ein Rudel Wölfe über ihre Haut jagte, im Nu, sie wußte nicht, wo es ausgebrochen war und wohin es verschwand. Wie sie aber dasaß, die Knie hochgezogen, Meingast zuhörte, der von den Männerbünden sprach, und die Höschen unter dem dünnen Kleid straff wie Knabenhosen an ihren Schenkeln lagen, fühlte sie sich beruhigt.
    «Ein Männerbund» sagte Meingast «ist die Liebe in Waffen, die man heute nirgends mehr findet. Man kennt heute nur die Weiberliebe. Ein Männerbund fordert: Treue, Gehorsam, Einstehen eines für alle und aller für einen: Man hat heute aus den Männertugenden das Zerrbild einer allgemeinen Wehrpflicht gemacht, aber bei den Griechen waren sie noch lebendiger Eros. Die männliche Erotik ist nicht auf das Geschlecht beschränkt; ihre ursprüngliche Form ist Krieg, Bund, vereinte Kraft. Überwindung des Todesschrecks ...!» Er stand und sprach in die Luft.
    «Wenn ein Mann eine Frau liebt, ist es immer schon der Beginn seiner Verbürgerlichung» ergänzte es Clarisse überzeugt. «Sag, darf man überhaupt in einer Zeit wie heute ein Kind wünschen?!»
    «Ach was, Kind!» wehrte Meingast ab. «Übrigens ja; nur Kinder! Du sollst dir ein Kind wünschen. Dieser Bourgeoisie-Eros, den man heute einzig und allein kennt, hat mit einem Kind die einzige Möglichkeit, zu Leiden und Opfern zu führen. Überhaupt ist Gebären noch eine der wenigen großen Angelegenheiten. Eine gewisse Rehabilitation.»
    Clarisse schüttelte langsam den Kopf. «Wenn es noch ein Kind von dir wäre!» sagte lächelnd.
    «Ich?! Das ist mir ja ganz neu. Ich reise übrigens in wenigen Tagen in die Schweiz zurück. Ich bin mit meinem Buch fertig.»
    «Ich komme mit dir» sagte Clarisse.
    «Das ist ausgeschlossen! Meine Freunde erwarten mich. Es gibt Schwieriges zu tun. Wir laufen sogar mancherlei Gefahren und müssen zusammenhalten wie eine Phalanx.»
    Meingast sagte es mit einem stillen und versonnenen, nach innen gerichteten Lächeln. «Das ist keine Sache für Frauen!»
    «Ich bin keine Frau!» rief Clarisse aus und sprang auf. («Hast du nicht, wie ich fünfzehn Jahre alt war, kleiner Bub zu mir gesagt?!»)
    Der Philosoph lächelte. Clarisse ––––––– trat zu ihm hin. «Ich will mit dir hinaus» sagte sie.
    «Die Liebe kann in jeder der folgenden Beziehungen offenbar werden» antwortete der Philosoph: «Diener zu Herr, Freund zu Freund, Kind zu Eltern, Weib zu Gatte, Seele zu Gott.»
    Clarisse legte ihm die Hand auf den Arm; mit einer wortlosen Bitte und ungeschickt, aber stark rührend wie Hundetreue.
    Meingast beugte sich herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    Heiser flüsterte Clarisse zurück: «Ich bin kein Weib, Meingast!, ich bin der Hermaphrodit!»
    «Du?!» Meingast gab sich keine Mühe, ein wenig Geringschätzung zu verbergen.
    «Ich reise mit dir. Du wirst es sehen. Ich werde es dir in der ersten Nacht zeigen. Wir werden nicht eins sein, sondern du wirst zwei sein. Ich kann aus mir herausfahren. Du wirst zwei Körper haben.»
    Meingast schüttelte den Kopf. «Eine gewisse Lüftung der Ichbetonung bei Dualität der Leiber: das kann eine Frau leisten. Aber niemals löst sie sich in eine höhere Gemeinschaft auf —» (Zu Meingasts Antwort ... ergänzen ...: Meingast umreißt, was das Weib leisten kann. Aber die Verdoppelung der Lebensaktion bringt es nicht. Man kann

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