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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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gehn, das zwischen den Steinen Wannen und Tröge mit einem warmen Bad und unheimlichen tierischen Genossen füllte.
    Als ob sich ein ungeheurer Lärm von Ulrich und Agathe gehoben und weggeflogen wäre, war diese Landschaft. Schwankende weiße Flammen, von der heißen Luft fast aufgesogen und verwischt, standen sie draußen in der See. Irgendwo war es in Istrien oder am Ostsaum von Italien oder am Tyrrhenischen Meer. Sie wußten es selbst kaum. Sie waren in Züge gestiegen und gefahren; es schien ihnen, daß sie kreuz und quer gereist seien, so ... daß sie den Weg gar nicht mehr zurückfinden könnten.
    Die Erinnerung an Ancona hob sich heraus. Man hätte erwarten können, daß sie ein Verbrechen bedeute und einen großen Schicksalstag: aber das tat sie nicht. Seekrankheit. Sie waren todmüde gekommen und mußten schlafen.
    Sie trafen am frühen Vormittag ein und verlangten Betten. Aßen Zabaglione im Bett und tranken starken Kaffee, dessen Schwere durch den Schaum gesprudelten Gelbeis wie in die Himmel gehoben war. Ruhten, träumten. Wenn sie eingeschlafen waren, schien ihnen jedesmal, daß die weißen Gardinen vor den Fenstern in einem bezaubernden Strömen erquickender Luft sich hoben und senkten; das waren ihre Atemzüge. Wenn sie wachten, sahen sie zwischen den sich öffnenden Spalten erzblaues Meer, und die roten und gelben Segel der aus dem Hafen oder einfahrenden Barken waren schrill wie dahinschwebende Pfiffe.
    Sie verstanden nichts in dieser neuen Welt, und alles war wie Worte eines Gedichts.
    Sie waren ohne Pässe abgereist und ein leises Gefühl von Furcht vor irgendeiner Entdeckung und Bestrafung begleitete sie. Als sie im Gasthof abgestiegen waren, hatte man sie für ein junges Ehepaar gehalten und ihnen dieses schöne Zimmer mit letto matrimoniale angeboten, das in Deutschland außer Gebrauch gekommen ist. Sie hatten sich nicht getraut, es zurückzuweisen.
    (Nach den Leiden des Körpers die Sehnsucht nach primitivem Glück ... Im Vergleich mit der ungeheuren Spannung vorher war es nichts. Und nachträglich war es in jeder Einzelheit ein konspiratorisches Glück. Und im Augenblick, wo die Widerstände schwankten und schmolzen, hatte Ulrich gesagt: Es ist auch das Vernünftigste, wenn wir nicht widerstehn; wir müssen das hinter uns haben, damit nicht diese Spannung das verfälscht, was wir vorhaben.
    Und sie reisten.
    Sie waren drei Tage geblieben.
    Es muß doch auch so sein: immer wieder voneinander entzückt. Die Skala des Sexuellen mit Variationen durchmessend.)
    Wenn man darinlag, bemerkte man rechts von der Tür, hochgelegt und nahe einer Zimmerecke, an einer ganz unverständlichen Stelle ein ovales Fenster von der Größe und Form einer Kabinenluke; es war undurchsichtig-farbig verglast, beunruhigend wie ein heimlicher Beobachtungspunkt, aber von einem leichten Kranz gemalter Rosen umrahmt.
    Als sie zum erstenmal auf die Straße traten: (Die Erschöpfung des übermäßigen Genusses im Körper, das aufgezehrte Mark. Es ist beschämend und beglückend.)
    Geschwirr von Menschen. Wie ein Sperlingshaufen, der froh im Sand wühlt. Neugierige Blicke ohne Scheu, die sich zuhause fühlten. Im Rücken der vorsichtig in diese Menge gleitenden Geschwister lag noch das Zimmer, lag das tiefe wie ein Windgekräusel auf dem Schlaf treibende Wachsein, die selige Erschöpfung, in der man sich gegen nichts mehr wehren kann, auch gegen sich selbst nicht, aber die Welt ferne wie einen blassen Lärm vor den unendlich tiefen Gängen des Ohrs hört.
    Weiter. Scheinbar Koffernomaden. In Wahrheit von der Unruhe getrieben, den Platz zu finden, der würdig des Lebens und Sterbens war.
    Vieles war schön und hielt schmeichelnd fest. Aber nirgends sagte die innere Stimme: dies ist das letzte.
    Endlich hier. Eigentlich hatte sie ein arbloser Zufall hergeführt, und sie nahmen nichts Besondres wahr. Da meldete sich leise und bestimmt die Stimme. Vielleicht waren sie, ohne es zu wissen, des kreuzenden Reisens müde geworden.
    Hier, wo sie geblieben waren, stieg von dem schmalen Strand, zwischen den zwei Felsenarmen der Küste, wie ein an die Brust gedrücktes Gewinde von Blumen und Büschen, kleine Wege in ganz sachtem, langem Anstieg darum gewickelt, ein Stück Gartennatur zu einem kleinen, weißen, am Hang geborgenen, zu dieser Zeit menschenleeren Hotel empor. Noch ein Stück höher kam nichts als schleiriger, in der Sonne flimmernder Stein, zwischen den Füßen gelber Ginster und rote Disteln, von den Füßen gegen den Himmel

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