Gesammelte Werke
Augenblick überzeugt, daß sie den Scheidungen des Menschentums nicht mehr Untertan seien. Sie hatten die Stufe des Verlangens überwunden, das seine Energie an eine Handlung und kurze Steigerung ausgibt, und es drang die Erfüllung nicht bloß an den bestimmten, sondern an allen Stellen ihres Leibes auf sie ein, wie Feuer nicht weniger wird, wenn sich anderes Feuer daran entzündet. Sie waren untergegangen in diesem alles ausfüllenden Feuer; waren schwimmend darin wie in einem Meer von Lust, und fliegend darin wie in einem Himmel von Entzücken.
Agathe weinte vor Glück. Wenn sie sich bewegten, fiel die Erinnerung, daß sie noch zwei waren, wie ein Weihrauchkorn in das süße Feuer der Liebe und löste sich darin auf; dies waren vielleicht die schönsten Augenblicke, wo sie nicht ganz eins waren.
Denn sie fühlten stärker als über andren über dieser Stunde einen Hauch von Trauer und Vergänglichkeit, etwas Schatten- und Schemenhaftes, ein Beraubtsein, eine Grausamkeit, eine ängstliche Anspannung Ungewisser Kräfte gegen die Furcht, wieder eingewandelt zu werden. Schließlich, als sie den Zustand nachlassen fühlten, trennten sie sich wortlos und in äußerster Erschöpfung.
Am nächsten Morgen hatten sich Ulrich und Agathe getrennt, ohne etwas zu verabreden, und sahen einander nicht während des ganzen Tags; sie konnten nicht anders; das Gefühl der Nacht strömte noch ab und trug sie mit sich; beide hatten das Bedürfnis, allein mit sich fertig zu werden, ohne zu bemerken, daß dies einen Widerspruch gegen das Erlebnis enthielt, welches sie überwältigt hatte. Sie gingen unwillkürlich nach entgegengesetzten Richtungen weit über Land, machten zu verschiedenen Zeiten Halt, suchten ein Lager im Angesicht des Meers und dachten aneinander.
Man mag es seltsam nennen, daß ihre Liebe sogleich das Bedürfnis nach Trennung hatte, aber sie war so groß, daß sie ihr mißtrauten und nach dieser Probe verlangten.
Nun kann man träumen. Unter einem Busch liegen, und die Bienen summen; oder in die spinnende Hitze, die dünne Luft, die lebendige Leere schaun. Die Sinne schläfern ein, und im Körper leuchten die Erinnerungen wieder auf, wie die Sterne nach Sonnenuntergang. Er wird wieder berührt und geküßt, und der magische Trennungsstrich, welcher noch die stärksten Erinnerungen sonst von der Wirklichkeit unterscheidet, wird von diesen leisen (träumenden) überschritten. Sie schieben Zeit und Raum wie einen Vorhang zur Seite und vereinen die Liebenden nicht nur in Gedanken, sondern körperlich, aber nicht mit den schweren Körpern, sondern mit innerlich veränderten, die ganz aus zärtlicher Beweglichkeit bestehen. Aber erst, wenn man daran denkt, daß man während dieser Vereinigung, die vollendeter und glückseliger ist als die körperliche, gar nicht weiß, was der andere eben getan hat, noch was er im nächsten Augenblick tun wird, erreicht das Geheimnis seine größte Tiefe. Ulrich nahm an, daß Agathe im Hotel geblieben sei. Er sah sie auf dem weißen Platz vor dem Haus stehn und mit dem Manager sprechen. Es war falsch. Und vielleicht stand sie bei dem jungen deutschen Professor, der angekommen war und sich ihnen vorgestellt hatte, oder sprach mit Luisina, dem Stubenmädchen mit den schönen Augen, und lachte über deren leichtfertig drollige Antworten. Daß Agathe jetzt lachen konnte!? Es zerriß den Zustand; ein Lächeln war gerade schwer genug, um von ihm getragen zu werden,..!! Als Ulrich sich umkehrte, stand Agathe mit einemmal wirklich da. Wirklich? Sie war über die Steine gekommen, in einem großen Bogen, ihr Kleid flatterte im Wind, sie warf einen starken Schatten auf den heißen Boden und lachte Ulrich an. Glückselige wirkliche Wirklichkeit; es schmerzte so sehr, wie wenn Augen, die in die Weite gestarrt haben, sich rasch an die Nähe gewöhnen müssen.
Agathe setzte sich neben ihn. Eine Eidechse saß dabei; eine kleine, huschende Lebensflamme züngelte sie still neben ihrem Gespräch. Ulrich hatte sie schon lange bemerkt. Agathe nicht. Aber als Agathe, die sich vor kleinen Tieren fürchtete, ihrer gewahr wurde, erschrak sie und scheuchte, verlegen lachend, das Geschöpfchen mit einem Stein fort. Und um sich Mut zu machen, ging sie hinterdrein, klatschte in die Hände und jagte die Kleine.
Ulrich, der auf die kleine Kreatur wie auf einen flimmernden Zauberspiegel gestarrt hatte, sagte sich: daß wir jetzt so verschieden waren, ist so traurig, wie daß wir zugleich geboren wurden, aber zu
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