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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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unter dem Arm und zog sie fort. «Es müßten eine Schwester und ein Bruder noch dann sein, wenn sie in hundert Stücke geteilt sind. Übrigens ist das ja nur ein Einfall.»
    Indes kamen Tage, wo sich nur die Oberfläche bewegte. Auf den blitzend feuchten Steinen im Meer. Ein Schweigwesen, Fisch, blumig im Wasser. Agathe tollte von Stein zu Stein, ihm nach, bis es abtaucht, wie ein Pfeil ins Dunkel dringt und verschwindet. – Nun? – dachte Ulrich. Agathe stand draußen auf den Klippen, er am Rand; eine Melodie des Geschehens brach ab, und eine neue muß fortfahren: Wie wird sie sich umwenden, zum Ufer zurücklächeln? Schön. Wie alle Vollendung. Vollkommen im Liebreiz der Bewegung tat es dann Agathe; die Einfalle des Orchesters ihrer Schönheit waren, wenn es scheinbar ohne Dirigenten musizierte, immer hinreißend.
    Jedoch alle vollendete Schönheit – ein Tier, ein Bild, eine Frau – ist nicht mehr als das letzte Stück in einem Kreis; eine Rundung ist vollendet, das sieht man, aber man möchte den Kreis kennen. Wenn es ein bekannter Lebenskreis ist, zum Beispiel der eines großen Mannes, dann ist ein edles Pferd oder eine schöne Frau wie die Agraffe im Gürtel, die ihn schließt und für einen Augenblick die ganze Erscheinung zu halten scheint; ebenso kann man sich in ein schönes Bauernpferd vergaffen, weil sich in ihm wie in einem zusammenziehenden Spiegel die ganze schwerfüßige Schönheit des Ackers und der Menschen wiederholt. Wenn aber nichts dahinter steht? Nicht mehr als hinter den Sonnenstrahlen, die auf den Steinen tanzen? Wenn diese Unendlichkeit des Wassers und Himmels erbarmungslos offen ist? Dann glaubt man fast, daß Schönheit etwas im Geheimen Verneinendes ist, etwas Unvollendetes und Unvollendbares, ein Glück ohne Zweck, ohne Sinn. Aber womit, wenn es ohne alles ist? Dann ist Schönheit eine Pein, zum Lachen und Weinen ein Kitzel, um sich im Sand zu wälzen, mit dem Pfeil Apolls in der Flanke. (Haß gegen die Schönheit. Sinn des drängenden Sexualbegehrens, sie zu zerstören.)
    Die Helligkeit solcher Tage war wie Rauch, der die Klarheit der Nächte verwischte.
    Agathe hatte etwas weniger Phantasie als Ulrich. Weil sie nicht so viel gedacht hatte wie er, war ihr Gefühl nicht so beweglich wie seines, sondern brannte wie eine gerade Flamme aus dem Boden, worauf sie gerade stand. Das Abenteuerliche der Flucht, das etwas durch die Furcht vor Entdeckung geängstigte Gewissen, endlich das Versteck in einem Blumenkorb zwischen Karstwand, Meer und Himmel gaben ihr zuweilen eine übermütige und kindliche Heiterkeit. Sie behandelte dann auch ihr sonderbares Erlebnis wie ein Abenteuer; einen verbotenen Raum in ihrem eigenen Innern, über dessen Gehege man späht, oder in den man eindringt, mit Herzklopfen, brennendem Hals und schweren Sohlen, an denen noch vom heimlich durcheilten Weg das plumpe Gewicht nasser Erde klebt.
    Sie hatte manchmal eine spielende Art, sich berühren zu lassen, mit geöffnet verschlossenen Augen; wiederzukehren; eine Zärtlichkeit, die nicht zu sättigen war. Er beobachtete sie heimlich, sah dieses Spiel der Liebe mit dem Körper, welches das Entzücken eines Liebhabers ist und das Niederdrückende einer Naturgewalt hat, zum erstenmal, oder wurde zum erstenmal davon gerührt. Oder es kamen Stunden, wo sie ihn nicht ansah, kalt, fast bös zu ihm war; weil sie zu bewegt war; wie ein Mensch in einem Boot, der sich nicht zu rühren wagt, so in ihrem Leib. Oder Nachreaktionen; zuerst eine Sperrung und dann, scheinbar ohne Anlaß, ein Nachfluten. Es war spannend und reizvoll, sich von diesen Eingebungen wiegen zu lassen, sie kürzten die Stunden, aber sie zwangen zu einer Optik der Nähe und kleinen Bemerkungen. Ulrich wehrte sich dagegen. Es war ein Rest von Erde, der in dem flüssigen Feuer schwebte und es trübte, eine Versuchung zu Erklärungen wie daß Agathe niemals die richtige Verbindung von Liebe und Geschlecht kennen gelernt habe. Wie bei den meisten Menschen hatte sich die ganze Kraft des Geschlechtlichen zuerst mit einem Fünkchen von Neigung zusammengefunden, als sie den damals noch nicht unsympathischen Hagauer heiratete. Statt mit einem Menschen, fast nur in der Begleitung eines Menschen in einen Sturm zu geraten, der fast so unpersönlich ist wie die Elemente, und dann erst als eine noch namenlose Überraschung zu bemerken, daß die Beine dieses Menschen nicht so gekleidet sind wie die eigenen, daß die Seele lockt, das Versteck zu wechseln ...
    Aber auch solche

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