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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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gerade im Undurchführbaren läge, wodurch sie die Seele entzünden! Und wie gut ist es für die Religion, daß man Gott weder sehen noch begreifen kann! Aber welche Welt?! Ein kalter dunkler Streif zwischen den zwei Feuern des Nochnicht und Nichtmehr!»
    «Eine Welt um sich zu fürchten» sagte Agathe. «Du hast recht.» Sie sagte es ganz ernst, und in ihren Augen war wirklich Bitterkeit (Angst).
    «Und wenn es so ist!» lachte Ulrich. «Zum erstenmal in meinem Leben fällt mir ein, daß wir uns furchtbar vor Schwindel fürchten müßten, wenn uns der Himmel nicht einen Abschluß der Welt vortäuschen würde, den es nicht gibt. Offenbar ist alles Absolute, Hundertgrädige, Wahre völlige Widernatur.»
    «Auch zwischen zwei Menschen, du meinst zwischen uns?»
    «Ich habe jetzt so gut begriffen, was Phantasten sind: Speisen ohne Salz sind unerträglich, aber Salz ohne Speisen in großen Mengen ist ein Gift; Phantasten sind Menschen, die von Salz allein leben wollen. Ist das richtig?»
    Agathe zuckte die Achseln.
    «Sieh unser Stubenmädchen, ein lustiges, dummes Ding, das nach Hausseife riecht. Ich sah ihr unlängst eine Weile zu, wie sie die Zimmer machte: sie kam mir so hübsch wie ein frischgewaschener Himmel vor.»
    Es beruhigte Ulrich, das zu bekennen, und über Agathes Mund kroch ein kleiner Wurm des Ekels. Ulrich wiederholte es, er wollte nicht mit dem großen Ton der dunklen Glocke diese kleine Disharmonie überdecken. «Es ist doch eine Disharmonie, nicht?! Und jede List ist der Seele recht, um sich fruchtbar zu halten. Sie stirbt mehrmals hintereinander vor Liebe. Aber —» und da sagte er nun etwas, von dem er glaubte, daß es ein Trost, ja daß es eine neue Liebe wäre: «– Wenn alles so traurig und eine Täuschung ist, und man kann an nichts mehr glauben: brauchen wir da einander nicht erst recht? Das Lied vom Schwesterlein» lächelte er «eine stille nachdenkliche Musik, die nichts übertönt; eine Begleitmusik; eine Liebe der Lieblosigkeit, die leise die Hände reicht ...?» (Eine kühle, stille, graue Anerotik?)
    Agathe schwieg. Es war etwas ausgelöscht. Sie war zu innerst müde. Ihr Herz war ihr mit einem Griff genommen, und eine unerträgliche Angst vor einer Leere in ihrem Innern, vor ihrer Unwürdigkeit und Rückverwandlung quälte sie. So ist den Verzückten zumute, wenn Gott von ihnen weicht und ihren eifernden Rufen nichts mehr antwortet.
    Der Kunstreisende, wie sie ihn nannten, war ein Dozent, der aus italienischen Städten kam, mit der Schmetterlingsnetzhaut und dem Botanisiertrommelgeist des strebenden Kunsthistorikers. Er hatte hier Station gemacht, um sich vor der Rückkehr einige Tage zu erholen und sein Material zu ordnen. Da sie die einzigen Gäste waren, stellte er sich schon am ersten Tag den Geschwistern vor, man sprach nach den Mahlzeiten, oder wenn man sich in der Nähe des Hauses traf, ein wenig miteinander, und es war nicht zu leugnen, daß dieser Mann, obgleich Ulrich über ihn lachte, in gewissen Augenblicken eine willkommene Entspannung vermittelte.
    Er war sehr davon überzeugt, daß er als Mann und Gelehrter etwas bedeute, und machte Agathe von der ersten Begegnung an, nachdem er erfahren hatte, daß sich das Paar nicht auf einer Hochzeitsreise befände, mit großer Bestimmtheit den Hof. Er sagte ihr: Sie ähneln der schönen ... auf dem Bilde von ... und alle Frauen mit diesem Ausdruck, der sich im Stirnhaar und in den Kleiderfalten wiederholt, haben die Eigenschaft, daß –––––: Agathe, als sie es Ulrich erzählen wollte, hatte schon die Namen vergessen, aber es war angenehm, wie der feste Druck eines Masseurs, wenn ein fremder Mensch weiß, was man ist, während man sich eben noch so aufgelöst wußte, daß man sich kaum von dem Schweigen des Mittags unterscheiden konnte.
    Dieser Kunstreisende sagte: «Frauen sind dazu da, uns träumen zu machen; sie sind eine List der Natur zur Befruchtung des männlichen Geistes.» Er schillerte wohlgefällig auf sein Paradoxon, welches den Sinn der Befruchtung umkehrte. Ulrich erwiderte: «Es bestehen aber immerhin Unterschiede in der Art dieser Träume!»
    Dieser Mann behauptete, man müsse bei der Umarmung eines «wirklich großen Weibes» an die Schöpfung von Michelangelo denken können. «Man zieht die Sixtinische Decke über sich und ist darunter nackt bis auf den Blaustrumpf –» spottete Ulrich. Nein, er gebe zu, daß die Durchführung Takt fordere, aber im Prinzip könnten das Menschen «doppelt so groß» als

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