Gesammelte Werke
andre sein. «Schließlich ist doch das Ziel allen ethischen Lebens, unsre Handlungen mit dem Höchsten zu vereinen, was wir in uns tragen!» Es war theoretisch gar nicht so leicht zu widerlegen, obgleich es praktisch lächerlich war.
«Ich habe gefunden,» sagte der Kunsthistoriker «daß es zwei Arten von Menschen gibt und im Lauf der Geschichte immer gegeben hat. Ich nenne sie die statischen und die dynamischen. Wenn Sie wollen, die Kaiserlichen und die Faustischen. Die Statiker können ein Glück als gegenwärtig empfinden. Sie sind irgendwie durch ein Gleichgewicht charakterisiert. Was sie getan haben, und was sie tun werden, greift durch das, was sie eben tun, in einander über, ist harmonisiert und hat eine Gestalt wie ein Bild oder eine Melodie. Hat gewissermaßen eine zweite Dimension, leuchtet in jedem Augenblick als Fläche. Der Papst zum Beispiel oder der Dalai Lama; es ist einfach undenkbar, daß sie etwas täten, was nicht in den Rahmen ihrer Bedeutung eingespannt wäre. Dagegen die Dynamischen: Die sich immer Losreißenden, vor und zurück bloß Blickenden, aus sich heraus Rollenden, die unempfindlichen Menschen mit Aufgaben, Unersättlichen, Drängenden, Glücklosen –, welche die Statiker immer wieder überwinden, um die Weltgeschichte in Gange zu halten» — — —: mit einem Wort, er ließ durchblicken, daß er wohl beide in sich zu tragen vermöge.
«Sagen Sie,» fragte Ulrich so, als ob er ganz ernst wäre «sind die Dynamiker nicht auch die, welche in der Liebe nichts zu fühlen scheinen, weil sie entweder schon in der Phantasie geliebt haben oder erst das Wiederentglittene lieben werden? Man könnte doch auch das behaupten?»
«Ganz richtig!» sagte der Dozent.
«Sie sind unmoralisch und Träumer, diese Menschen, welche den rechten Punkt zwischen Zukunft und Vergangenheit niemals finden können –»
«Nun, das möchte ich doch nicht behaupten –––––»
«Doch, doch. Sie können verrückt gute oder böse Taten begehn, weil ihnen das Gegenwärtige nichts bedeutet.» (Eigentlich sollte er sagen: Aus Ungeduld können sie verrückte Taten tun.)
Darauf wußte der Kunsthistoriker nicht recht zu erwidern und fand, daß ihn Ulrich nicht verstand.
Die Unruhe wuchs. Der Sommer stieg heiß an. Die Sonne loderte wie eine Feuersbrunst bis an den Rand der Erde. Die Elemente füllten das Dasein an, so daß für das Menschliche kaum noch ein geduldeter Platz blieb.
Es kam vor, daß die Geschwister gegen Abend, wenn die glühende Luft schon leichte, erkaltende Falten warf, auf den Steilufern wandelten. Gelbe Ginsterstauden sprangen von der Glut der Steine ab und standen unmittelbar vor der Seele; grau wie Eselsrücken, schleiriges Grün des Karstgrases darüber geworfen, die Berge; heißes Dunkelgrün des Lorbeers. Wenn der Blick lechzend auf ihm ruhte, sank er in immer kühlere Tiefen. Unzählige Bienen summten; es verschmolz zu einem tiefen metallischen Ton, der kleine Pfeile abschoß, wenn sie in jäher Wendung am Ohr vorbeikamen. Heroisch, ungeheuer die glatt gekantete, steil abbrechende, in drei Wellen hintereinander herkommende Linie der Berge.
«Heroisch?» fragte Ulrich. «Oder ist es nur das, was wir immer gehaßt haben, weil es für heroisch gelten soll? — Diese unzähligemale gemalte und gestochene, diese griechische, diese römische, diese nazarenische, klassizistische Landschaft, – diese tugendhafte, professorale, idealistische Landschaft? Und sie imponiert uns am Ende nur deshalb, weil wir ihr nun wirklich begegnet sind?! So wie man einen einflußreichen Mann verachtet und sich trotzdem geschmeichelt fühlt, weil man ihn kennt?»
Aber die wenigen Dinge, denen hier der Raum gehörte, respektierten einander, sie hielten voneinander Distanz und überfüllten nicht die Natur mit Eindrücken wie in Deutschland. Es half kein Spotten; wie nur ganz hoch im Gebirge, wo das Irdische immer weniger wird, diese Landschaft nicht mehr die Umgebung menschlicher Wohnungen, sondern ein Stück Himmel, an dessen Falten noch einige Arten von Insekten hingen.
Und auf der andern Seite (dieser Demut) lag das Meer. Die große Geliebte, mit dem Pfauenrad geschmückt. Die Geliebte mit dem ovalen Spiegel. Das aufgeschlagene Auge der Geliebten. Die Gott gewordene Geliebte. Die unerbittliche Forderung. Noch schmerzte das Auge und mußte wegsehn, von den aus dem Meer zurückschmetternden Speeren des Lichts getroffen. Aber bald wird die Sonne tiefer stehn. Es wird nur ein umgrenzter See von flüssigem
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