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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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konzentrierter Flug durch Seligkeit und Tod, endend, erneut, die Körper schwingen wie heulende Glocken. Aber am Schluß weiß man doch: es war nur tiefer Sündenfall in eine Welt, in der es auf hundert Stufen der Wiederholung schwebend abwärts geht. Agathe stöhnte: «Du wirst mich verlassen!» (Ulrich suchte Worte der Begeisterung und so weiter.) «Nein! Süße! Verschworene!» – «Nein,» wehrte Agathe leise ab «ich vermag nichts mehr dabei zu fühlen ...!»
    Da es nun ausgesprochen war, wurde Ulrich kalt und gab die Mühe auf.
    «Wenn wir an Gott geglaubt hätten,» fuhr Agathe fort «würden wir die Reden der Berge und Blumen verstanden haben.»
    «Du denkst an Lindner?» forschte Ulrich, sofort eifersüchtig.
    «Nein. Ich habe an den Kunsthistoriker gedacht. Sein Faden reißt niemals ab.» Agathe lächelte müde und schmerzlich. Sie lag Bett, Ulrich hatte die Tür zum Balkon aufgerissen, der Wind schleuderte Wasser herein.
    «Es ist egal» sagte er rauh. «Denk an wen du willst. Wir müssen uns nach einem Dritten umsehn. Der uns zuschaut, beneidet oder Vorwürfe macht.» Er blieb vor ihr stehn und sagte langsam: «Zwischen zwei einzelnen Menschen gibt es keine Liebe!» Agathe richtete sich auf einem Ellbogen auf und lag da, mit großen Augen, als ob sie den Tod erwartete. «Wir sind einem Impuls gegen die Ordnung gefolgt» wiederholte Ulrich. «Eine Liebe kann aus Trotz erwachsen, aber sie kann nicht aus Trotz bestehn. Sondern, sie kann nur eingefügt in eine Gesellschaft bestehn. Sie ist kein Lebensinhalt. Sondern eine Verneinung, eine Ausnahme von den Lebensinhalten. Aber eine Ausnahme braucht etwas, wovon sie Ausnahme ist. Von einer Negation allein kann man nicht leben.»
    «Schließ die Tür» bat Agathe. Dann stand sie auf und ordnete ihr Kleid. «Wir wollen also abreisen?»
    Ulrich zuckte die Achseln. «Es ist ja alles vorbei.»
    «Erinnerst du dich nicht mehr, unter welcher Bedingung wir hergekommen sind?»
    Ulrich antwortete beschämt: «Wir wollten den Eingang ins Paradies finden!»
    «Und uns töten,» sagte Agathe «wenn es uns nicht gelingt!»
    Ulrich sah sie ruhig an. «Willst du denn?»
    Agathe hätte vielleicht ja sagen können. Sie wußte nicht, aus welchem Grund es ihr aufrichtiger erschien, langsam den Kopf zu schütteln und nein zu sagen.
    «Diesen Entschluß haben wir auch verloren» stellte sie fest.
    Sie stand verzweifelt auf. Sprach mit den Händen an den Schläfen, auf die eigenen Worte horchend: «Ich wartete ... Ich war fast schon überreif und lächerlich ... Weil ich trotz meines Lebens noch immer wartete. Ich konnte es nicht benennen und nicht beschreiben. Es war wie eine Melodie ohne Töne, ein Bild ohne Form. Ich wußte, es wird eines Tages von außen auf mich zukommen und wird das sein, was mich lieb hat, und mit dem es kein Übel mehr für mich geben wird, weder im Leben, noch im Tode ...»
    Ulrich, der sich ihr jäh zugewendet hatte, fiel parodierend ein, mit einer Gehässigkeit, durch die er sich selbst quälte: «Es ist eine Sehnsucht, ein Fehlendes: die Form ist da, nur die Materie fehlt. Dann kommt ein Bankbeamter oder ein Professor, und dieses Tierchen füllt langsam die Leere aus, die wie ein Abendhimmel gespannt war. Meine Liebe, alle Bewegung im Leben kommt vom Bösen und Rohen; das Gute schläft ein. Ist ein Tropfen eines Duftes; aber jede Stunde ist das gleiche Loch und gähnende Kind des Todes, das mit schwerem Schotter ausgefüllt werden muß. Du hast vorhin gesagt: ‹Wenn wir an Gott glauben könnten!› Aber eine Patience tut es auch, ein Schachspiel, ein Buch. Das hat der Mensch heute herausgebracht, daß er sich damit ebensogut trösten kann. Es muß bloß etwas sein, wo sich Brett an Brett legt, um über die leere Tiefe hinwegzuführen.»
    «Aber lieben wir uns denn nicht mehr?!» rief Agathe aus.
    «Man darf nicht übersehn,» antwortete Ulrich «wie sehr dieses Gefühl von der Umgebung abhängt. Wie es seinen Inhalt davon erhält, daß man sich ein gemeinsames Leben vorstellt, das heißt eine Linie zwischen den andern Menschen durch. Vom guten Gewissen, weil alle andern sich so freun, wie diese zwei sich lieben, oder auch vom bösen Gewissen ... Was haben wir denn erlebt? Wir dürfen uns nichts Falsches vormachen: Ich war doch kein Narr, als ich das Paradies suchen wollte. Ich konnte es bestimmen, wie man einen unsichtbaren Planeten aus bestimmten Wirkungen erschließt. Und was ist geschehn? Es hat sich in eine seelischoptische Täuschung aufgelöst und

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