Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
sein?»
    Walter antwortete widerwillig. «Du hast doch selbst gesagt, daß es für das Zusammenleben noch andere Gründe gibt. Kinder, das Bedürfnis nach einem festen Platz; und dann: es gibt ein Zusammenpassen zweier Menschen, das mehr ist als das Zusammenpassen ihrer Ansichten!»
    «Ach, Ausreden! Das Zusammenpassen, von dem du sprichst, ist nichts anderes, als daß man den Ansichten noch weniger vertraut als einem gewohnten Leben, das sich nicht als gerade unerträglich herausgestellt hat. Es ist einfach ein Glück, daß man den Menschen, die man bewundert, doch nicht ganz traut. Das Durcheinander, wobei immer eines vom anderen entkräftet wird, ist offenbar zu einem Mittel der Lebenserhaltung geworden. Die Neigungen halten durch einen feinen Rest von Abneigung gegen den dritten zusammen. Und insgesamt ist das natürlich nichts anderes als die Pharisäerseele, die, wenn sie einmal in einem Leib darin steckt, sich einbildet, daß jeder andere Leib geheime Nachteile hat!»
    «Ich habe vorausgeschickt,» rief Walter empört aus «daß ich es Clarisse nicht verbieten könnte, wenn sie Meingast wirklich liebte!»
    «Und warum erlaubst du ihr dann nicht, mich zu lieben?» fragte Ulrich lachend. «Weil du mich nicht magst. Und du magst mich nicht, weil ich dich in unserer Jugend ein paarmal verprügelt habe. Als ob ich nie auf Stärkere gestoßen wäre, die mich verprügelt hätten! So unsinnig ist das, so borniert und gedankeneng. Ich mache dir keinen Vorwurf; wir haben alle diese Schwäche, daß wir nicht loskommen können, ja geradezu, daß solche albernen Zufälle das Material sind, das uns innerlich aufbaut, während unsere Erkenntnisse nur wie die Luft sind, die darum herumstreicht. Wer ist denn stärker: du oder ich? Herr Ing. Kurz oder Herr Kunsthistoriker Lang? Ein Meisterringer oder ein Kurzstreckenläufer? Ich meine, diese Sache hat heute doch schon sehr ihren Sinn verloren. Wir sind einzeln alle nichts. Um in deiner Sprache zu reden: Wir sind Instrumentalisten, die sich in der Ahnung zusammengefunden haben, daß sie ein wunderbares Stück spielen sollen, dessen Partitur noch nicht aufgefunden worden ist. Was würde also geschehn, wenn sich Clarisse in mich verliebte? Daß man nur einen Menschen lieben könne, ist nichts als ein juristisches Vorurteil, das uns ganz und gar überwuchert hat. Sie würde auch dich lieben und gerade dann in der besten dir zukommenden Art, weil sie frei von dem Ärger wäre, daß du gewisse Eigenschaften nicht hast, an denen ihr doch auch etwas liegt. Die einzige Bedingung wäre, daß du dich mir gegenüber wirklich als ein Freund betragen müßtest; das heißt, du brauchst mich nicht zu verstehn, denn ich verstehe die Zellen in meinem Gehirn auch nicht, obgleich etwas viel Innigeres zwischen uns besteht als Verständnis! – und du dürftest mir mit allen deinen Gefühlen und Gedanken widersprechen, aber nur in einer bestimmten Weise: denn es gibt Widersprüche, die Fortsetzungen sind, zum Beispiel die in uns selbst, wir lieben uns samt ihnen.»
    Walter war das vorgekommen, wie wenn ein Eimer eine Treppe hinab ausgegossen wird, Ulrichs Rede breitete sich aus und einmal mußte sie versiegen; er ging inzwischen im Zimmer auf und ab, aber er konnte es nicht abwarten. Er blieb stehn und sagte: «Ich muß dich unterbrechen. Ich will dir weder widersprechen, noch zustimmen. Ich weiß nicht, warum du das überhaupt sagst; mir kommt es in die Luft gesprochen vor. Und wir sind beide einige dreißig Jahre alt, es hängt nicht mehr alles in der Luft wie mit neunzehn Jahren, man ist etwas, man hat etwas, und alles, was du sagst, ist grenzenlos undringlich. Aber das Entsetzliche ist, daß ich Clarisse habe versprechen müssen, dich heute noch zu ihr hinauszuschicken. Versprich mir, daß du mit ihr weniger unvernünftig reden wirst als mit mir!»
    «Aber dazu müßte ich dir zuerst versprechen, daß ich hinausgehe. Ich habe heute nicht die geringste Lust dazu! Entschuldige mich: auch ich fühle mich nicht wohl.»
    «Aber du mußt mir die Bitte erfüllen! Dir kommt es nicht darauf an, du verträgst schon etwas; aber Clarisse ist seit Tagen in einem beängstigenden Zustand. Ich habe mir noch dazu einen großen Fehler zuschulden kommen lassen, widerwärtig, versichere ich dir, man ist manchmal wie ein Tier. Ich habe Angst um sie!» Die Erinnerung überwältigte ihn augenblicklich. Er hatte Tränen in den Augen und sah durch die Tränen hindurch Ulrich zornig an. Der begütigte ihn und versprach

Weitere Kostenlose Bücher