Gesammelte Werke
Widerspruchs der Wunsch, nicht auf sie zu hören, ja ihr «den Mann» wie Siegmund, der Bruder und Arzt, es ihm geraten hatte.
So sagte Walter nach einer kurzen Pause ziemlich rauh: «Jetzt aber sei vernünftig, Clarisse, laß das Gerede und komm her!» Clarisse hatte sich inzwischen ihrer Kleider entledigt und war eben dabei, sich ein kaltes Bad zu bereiten. Sie sah in ihren kurzen Höschen und mit den mageren Armen wie ein Knabe aus. Sie fühlte die faule Wärme von Walters Körper nahe hinter sich und verstand sofort, worauf er aus war. Sie wandte sich um und setzte ihm die Hand vor die Brust. Aber Walter griff nach ihr. Er umklammerte mit der einen Hand ihren Arm und suchte sie mit der anderen am Kreuz zu umfassen und an sich zu ziehen. Clarisse riß an der Umklammerung, und als das nichts half, stemmte sie ihre freie Hand in Walters Gesicht, vor Nase und Mund. Er wurde rot im Gesicht, und das Blut zitterte in den Augen, während er mit Clarisse rang und sie nicht merken lassen wollte, daß ihm ihr Griff wehtat. Und als ihn die Atemnot zu betäuben drohte, mußte er ihre Hand aus seinem Gesicht schlagen. Blitzschnell fuhr sie wieder hin, und diesmal rissen die Nägel zwei blutende Furchen in seine Haut. Clarisse war frei.
So standen sie nun einander gegenüber. Keiner von beiden wollte sprechen. Clarisse erschrak über ihre Roheit, aber sie war außer sich. Ein Zugriff von oben hatte sie außer sich gerissen; sie war ganz nach außen gewendet, ein Busch voll Dornen. Sie befand sich in Ekstase. Keiner der Gedanken, die sie wochenlang beschäftigt hatten, fand sich jetzt in ihr vor, sie hatte sogar das nächste vergessen, und das, was sie wollte. Ihre Person war weg, mit Ausnahme dessen, was sie zur Abwehr brauchte. Sie fühlte sich ungeheuer stark. In diesem Augenblick haschte Walter von neuem nach ihr, und diesmal mit ganzer Kraft. Er war zornig geworden und fürchtete auf der ganzen Welt nichts so sehr, als wieder vernünftig zu werden. Clarisse schlug nach ihm. Sie war sogleich wieder bereit zu kratzen, zu beißen, ihm das Knie in den Bauch, den Ellbogen in den Mund zu stemmen, und es waltete nicht einmal Zorn oder Abneigung dabei vor, geschweige denn eine Überlegung, eher hatte sie ihn bei diesem Kampf in einer wilden Weise lieb, obwohl sie sich imstande fühlte, ihn zu töten. Sie hätte in seinem Blut baden mögen. Sie tat es mit ihren Nägeln und mit den kurzen Blicken, die entgeistert seinen Anstrengungen und den kleinen roten Rinnsalen folgten, die dabei in seinem Gesicht und auf seinen Händen aufsprangen. Walter schimpfte. Er beschimpfte sie. Gemeine Worte kamen aus seinem Mund, die mit seinem gewöhnlichen Wesen gar nichts zu tun hatten. Ihre lautere, unverdünnte Männlichkeit roch wie Branntwein, und es zeigte sich das Bedürfnis nach gemeinen, beleidigenden Reden plötzlich als ebenso ursprünglich wie das nach Zärtlichkeit. Wahrscheinlich kam darin nichts als eine Mißgunst gegen allen geistigen Ehrgeiz hervor, der ihn Jahrzehnte lang gequält und gedemütigt hatte und sich zuletzt in Clarisse nun noch einmal wider ihn aufrichtete. Natürlich hatte er keine Zeit, daran zu denken. Aber er fühlte doch deutlich, daß er nicht bloß deshalb im Begriff stand, ihren Willen zu brechen, weil Siegmund es so geraten hatte, sondern daß er es auch wegen des Brechens und Knickens tat. Auf irgendeine Weise kamen ihm die lächerlich schönen Bewegungen eines Flamingos in den Sinn. «Es wird sich schon zeigen, was davon übrig bleibt, wenn ihn ein Bulldogg erwischt!» dachte er vom Flamingogeist, aber halblaut stieß er zwischen den Zähnen: «dumme Gans!» hervor.
Und auch Clarisse war nur von dem Gedanken beseelt: «Er darf nicht seinen Willen haben!» Sie fühlte ihre Kräfte noch immer wachsen. Ihre Kleidung zerriß, Walter griff in die Fetzen, sie packte den Hals an, den sie vor sich hatte. Halbnackt, schlüpfrig wie ein zappelnder Fisch kämpfte sie in den Armen ihres Gatten. Walter, dessen Kraft nicht ausreichte, sie ruhig zu überwältigen, schleuderte sie hin und her und suchte ihre Angriffe schmerzhaft zu blocken. Sie hatte den Schuh verloren und trat mit dem nackten Fuß nach ihm. Sie kamen zu Fall. Sie hatten das Ziel ihres Kampfes und seinen geschlechtlichen Ursprung beide scheinbar vergessen und kämpften nur, um ihren Willen durchzusetzen. In dieser höchsten, krampfartigen Zusammennahme ihrer Person verschwanden sie eigentlich. Ihre Wahrnehmungen und Gedanken nahmen allmählich eine völlig
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