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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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ihn. Alles erinnerte ihn an sie. Wie kurz war es her, daß er sie von einem unbesonnenen Entschluß zurückgehalten hatte. Trotzdem glaubte er nicht daran, daß sie das tun würde, ohne ihn noch einmal gesprochen zu haben. Vielleicht gerade deshalb; denn der Rausch – wirklicher Rausch, eine Bezauberung! – war vorbei. Unwiderruflich hatte der Versuch, ihr Verhältnis zueinander so zu gestalten, wie sie es unternommen hatten, fehlgeschlagen. Weite Gebiete des Gefühls und der Einbildungen, die das ganze Leben lang vordem wie ein opalisierender Himmel vielen Dingen einen Glanz unbekannter Herkunft gegeben hatten, waren jetzt verödet. Ulrichs Geist war trocken geworden wie ein Boden, unter dem sich die Feuchtigkeit führende Schicht, von der alles Grüne lebt, verloren hat. Wenn das ein Unsinn war, was er zu wollen gezwungen wurde, — und die Abspannung, mit der er daran denken mußte, ließ keinen Zweifel zu! — so war das Beste in seinem Leben immer ein Unsinn gewesen. Der Schimmer des Denkens, der Hauch von Übermut, diese zarten Boten einer besseren Heimat, die zwischen den Dingen der Welt wehn. Es blieb nichts übrig, als vernünftig zu werden, er mußte seiner Natur Gewalt antun und sie wahrscheinlich nicht nur in eine harte, sondern auch von vorneher langweilige Schule nehmen. Er wollte nicht geboren sein zum Müßiggänger und würde es jetzt sein, wenn er nicht bald anfinge, mit den Folgen dieses Fehlschlags Ordnung zu machen. Aber wenn er sie prüfte, lehnte sich sein Wesen dagegen auf, und wenn sich sein Wesen dagegen auflehnte, sehnte er sich nach Agathe; ohne Überschwang geschah das, aber doch so, wie man nach einem Leidensgenossen verlangt, wenn er der einzige ist, mit dem man vertraut ist.
    Walter erkundigte sich mit zerstreuter Höflichkeit nach Ulrichs Abwesenheit; Ulrich wartete verlegen darauf, daß er nach Agathe fragen werde, zum Glück vergaß es Walter. Er habe in der letzten Zeit gesehn, daß es Wahnsinn sei, an der Liebe einer Frau zu zweifeln, die man selbst liebe, begann er. Selbst wenn man getäuscht würde, käme es nur darauf an, sich fruchtbar täuschen zu lassen, so daß das innere Leben aller daran Beteiligten um eine Stufe gehoben werde. Alle negativen Empfindungen seien unfruchtbar; andererseits gebe es nichts, worin man nicht den Kern der Fruchtbarkeit finden könnte, wenn man die Schalen der Weltgemeinschaft davon abstreifte. Zum Beispiel: Er habe oft Unrecht getan, auf Ulrich eifersüchtig zu sein.
    «Warst du wirklich auf mich eifersüchtig?» fragte Ulrich.
    «Ja» bekannte Walter, und für einen Augenblick entblößten sich in unbewußt andeutender, aber lächerlich abschreckender Weise zwei Zähne. «Ich habe das natürlich nie anders als geistig betrachtet. Clarisse empfindet für deinen Körper eine gewisse Sinnesverwandtschaft. Du verstehst: weder dein Körper zieht ihren Körper, noch dein Geist ihren Geist an, sondern dein Körper ihren Geist; du wirst zugeben, daß das nichts Einfaches ist und daß es für mich nicht immer leicht war, mich richtig zu dir zu verhalten.»
    «Und Meingast?»
    «Meingast ist jetzt abgereist,» schickte Walter voraus «aber das war anders. Ich bewundere Meingast selbst. An diesen Menschen kommt heute kein zweiter heran, wenn man alles in allem nimmt. Ich könnte es Clarisse gar nicht verbieten, ihn zu lieben.»
    «Doch, das könntest du schon. Erstens müßtest du ihr sagen, daß Meingast ein Faselhans ist —»
    «Laß das! Ich brauche heute deine Freundschaft, nicht Streit!»
    «So könntest du Clarisse immer noch sagen, daß ein großer Mensch doch nicht die Aufgabe hat, wie ein Riesenmagnet die Nägel aus allen Ehen zu ziehen; also muß auch auf Seiten der Ehe etwas sein, das durch die Überlegenheit dieses dritten nicht verändert werden kann. Du bist doch konservativ, und wirst dir das doch wohl ausdenken können. Es ist übrigens eine fesselnde Frage. Überleg einmal: Jeder Dichter, Musiker, Philosoph, Führer, Chef findet heute Menschen, die ihn für das Höchste auf Erden halten. Die natürliche Folge wäre, besonders bei den leichter beweglichen Frauen, daß sie ihm als ganzer Mensch zuliefen. Dem Leibphilosophen und Leibdichter! Diese Worte haben ein Anrecht darauf, wörtlich genommen zu werden; denn wo sollte man sonst mit Seele und Leib hinwollen, wenn nicht zu diesem höchsten Ruhepunkt?! Ebenso sicher ist es aber, daß das nicht geschieht. Nur hysterische Frauen laufen heute den großen Geistern nach. Was kann die Ursache

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