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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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einzigesmal aufsteigt wie ein Rauch, der sich im Himmelsraum verliert; – sondern es ist der Unterschied im Verhalten der Person zu ihr, es ist dieses Bild, das ich liebe, weil es übrig geblieben ist, während er es sicher aus dem entgegengesetzten Grunde liebt, weil es alles in sich einschluckte, was aus ihm hätte werden können, bis schließlich eben Walter daraus geworden ist. «Und eigentlich» dachte er «ist alles das nichts als ein Zeichen der Zeit. Der Sozialismus bemüht sich heute, das liebe Privatich für eine wertlose Illusion zu erklären, an deren Stelle gesellschaftliche Ursachen und Pflichten gehören. Ihm ist dabei aber längst die Naturwissenschaft schon mit den lieben Privatdingen vorangegangen, die sie in lauter unpersönliche Vorgänge wie Wärme, Licht, Schwere und so weiter aufgelöst hat. Das Ding, wie es Privatmenschen wichtig ist, als ein Stein, der ihnen auf den Kopf fällt, (oder als einer, den sie in Gold gefaßt kaufen können) oder eine Blume, an der sie riechen, interessiert die neueren Menschen nicht im geringsten; sie behandeln es als einen Zufall oder gar als ein ‹Ding an sich›, das ist etwas, das nicht da ist und doch da ist, eine ganz törichte und gespenstische Persönlichkeit von einem Ding. Man darf wohl voraussagen, daß sich das ändern wird, so wie ein Mann, der täglich Millionen umsetzt, einmal sehr erstaunt eine einzelne Mark in die Hand nimmt, aber dann werden Ding und Persönlichkeit etwas anderes geworden sein. Und einstweilen besteht noch ein sehr komisches Nebeneinander. Moralisch zum Beispiel betrachtet man sich noch ungefähr so, wie die Physik die Körper vor dreihundert Jahren betrachtet hat; sie ‹fallen›, weil sie die ‹Eigenschaft› haben, das Hohe zu scheuen, oder werden warm, weil in ihnen ein Fluidum steckt: solche gute oder böse Eigenschaften und Fluida dichten die Moralisten noch den Menschen an. Psychologisch dagegen ist man schon soweit, die Menschen in typische Bündel typischer Allerweltsverhaltensweisen aufzulösen. Soziologisch behandelt man ihn nicht anders. Musikalisch dagegen macht man ihn wieder ganz.»
    Aber plötzlich wurde Licht gemacht, die Musik schwang nur noch auf den letzten Tönen hin und her, wie ein Ast, von dem jemand herunter gesprungen ist, die Augen blinzelten, und die Stille vor dem Lossprechen aller trat ein. Clarisse war noch rechtzeitig von Ulrich abgerückt, aber als nun die neuen Gruppen sich gebildet hatten, zog sie ihn in eine Ecke und hatte ihm etwas mitzuteilen.
    «Was ist das äußerste Gegenteil davon, daß man gewähren läßt?» fragte sie ihn. Und da Ulrich nichts erwiderte, gab sie selbst die Antwort. «Sich selbst einprägen!» Das Figürchen stand elastisch vor ihm, die Hände auf dem Rücken. Aber sie suchte sich mit den Augen an Ulrichs Augen anzuhalten, denn die Worte, die sie jetzt suchen mußte, waren so schwer, daß sie ihren kleinen Körper ins Wanken brachten. «Sich einkratzen! sage ich. Ich habe das vorhin herausgebracht, während wir nebeneinander gesessen sind. Eindrücke sind gar nichts; sie drücken dich ein! Oder ein Haufen Regenwürmer. Aber wann verstehst du ein Stück Musik? Wenn du es selbst innerlich machst! Und wann verstehst du einen Menschen? Wenn du dich so machst wie er. Siehst du,» sie beschrieb mit der Hand einen wagrecht liegenden spitzen Winkel, der Ulrich unwillkürlich an einen Phallus erinnerte «unser ganzes Leben ist Ausdruck! In der Kunst, in der Liebe, in der Politik suchen wir die aktive Form, die spitzige, ich habe es dir schon gesagt, daß es die der Bärenschnauze ist! Nein, ich habe nicht sagen wollen, daß Eindrücke nichts sind: sie sind die Hälfte; wundervoll steckt das beides in dem Wort Erlösen, das aktive er- und das Lösen –»: sie wurde sehr erregt von der Bemühung sich Ulrich verständlich zu machen.
    In diesem Augenblick setzte aber wieder das Musizieren ein, es hatte nur eine kurze Ruhepause gegeben, und Ulrich wandte sich von Clarisse ab. Er sah durch das große Atelierfenster in den Abend hinaus. Das Auge mußte sich erst wieder ans Dunkel gewöhnen. Dann erschienen blaue wandernde Wolken am Himmel. Die Spitzen eines Baums reichten von unten herauf. Häuser standen mit dem Rücken nach oben. «Wie sollten sie sonst?!» dachte Ulrich lächelnd, und doch es gibt Minuten, wo alles verkehrt erscheint. Er gedachte Agathes und war unsagbar traurig. Dieses neue, kleine Wesen Clarisse an seiner Seite trieb mit einer unnatürlichen Geschwindigkeit

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