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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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wahrscheinlich deshalb, weil er auch über sich selbst «als Person» selten nachdachte. Er handelte gewöhnlich nach der Meinung, was man denke, fühle, wolle, sich einbilde und schaffe, könne unter Umständen eine Bereicherung des Lebens bedeuten; was man sei, bedeute aber unter keinerlei Umständen mehr als ein Nebenprodukt bei dem Vorgang dieser Herstellung. Musikalische Menschen sind jedoch sehr oft der entgegengesetzten Meinung. Sie erzeugen zwar eine Sache, für die sie den unpersönlichen Namen Musik gebrauchen, aber diese Sache besteht doch zum größten oder wenigstens in dem ihnen wichtigsten Teil aus ihnen selbst, ihren Empfindungen, Gefühlen und dem gemeinsamen Erlebnis. Es ist mehr Sein und weniger Bleiben in ihrer Musik, der von allen geistigen Tätigkeiten die des Schauspielers am nächsten steht. Diese Steigerung, deren Zeuge er sein mußte, erregte Ulrichs Abneigung, er saß wie eine Eule unter Singvögeln zwischen ihnen.
    Und natürlich war Walter ganz das Gegenteil von ihm. Er dachte viel und leidenschaftlich über sich selbst nach. Er nahm alles ernst, was ihm begegnete. Weil es ihm begegnete; als ob das eine Auszeichnung wäre, die eine Sache zu einer anderen machen kann. Er war in jedem Augenblick Person und ganzer Mensch, und weil er es war, wurde er nichts. Alle Menschen hatten ihn fesselnd gefunden, ihm Glück gebracht und ihn eingeladen, bei ihnen zu bleiben, mit dem Endergebnis, daß er Archivar oder Kustos geworden ist, festgefahren ist, keine Kraft mehr hat, sich zu verändern, auf alle Menschen schimpft, zufrieden unglücklich ist und pünktlich in sein Büro geht. Und während er in seinem Büro ist, wird vielleicht zwischen Clarisse und Ulrich etwas geschehen, das seine Person, wenn er es erführe, in eine Aufregung versetzen könnte, wie wenn der ganze Ozean der Weltgeschichte in sie einströmte; wogegen Ulrich weit weniger aufgeregt davon war. Clarisse aber hatte sich, gleich als sie gekommen war, Walter war nicht dabei, neben Ulrich gesetzt. Den Rücken vorgebogen, das Knie hochgezogen, im Dunkel, denn es war noch kein Licht gemacht worden, hatte sie gleich nach den ersten Takten, denen sie beiwohnten, ihre Hand ausgebreitet auf die seine gestützt, als ob sie aufs innigste zusammengehörten. Ulrich hatte sich vorsichtig befreit, und auch das war ein Grund dafür gewesen, daß er den Kopf in beide Hände stützte; aber Clarisse, als sie geschaut hatte, was er vorhabe, und ihn von der Seite ebenso ergriffen dasitzen sah wie alle anderen, hatte sich sanft an ihn gelehnt und so saß sie nun schon eine halbe Stunde. Und auch er war nicht glücklich.
    Er wußte, daß er immer von neuem nichts als den entgegengesetzten Irrtum beging wie Walter. Durch diesen Irrtum entstand eine Auflösung ohne Kern; der Mensch verlor sich in einen Strahlenraum; er hörte auf, ein Ding, mit allen ebenso köstlichen wie zufälligen Begrenztheiten, zu sein; er wurde in der höchsten Steigerung so gleichgültig gegen sich selbst, daß das Menschliche gegenüber dem Übermenschlichen nicht mehr Bedeutung hat, wie das Stückchen Kork, an dem ein Magnet angebracht ist, der es in einem Netz von Kräften kreuz und quer zieht. Zuletzt war es ihm mit Agathe so ergangen. Und jetzt – nein, es war eine Lästerung, das nebeneinander zu setzen – aber selbst zwischen Clarisse und ihm war jetzt etwas «los», bewegte sich, er war in einen Wirkungsbereich geraten, in dem Clarisse und er von Kräften einander zu bewegt wurden, die keine Rücksicht darauf nahmen, ob sie im ganzen für einander Neigung verspürten oder nicht.
    Und während Clarisse an ihm lehnte, dachte Ulrich an Walter. Er sah ihn in einer bestimmten Weise vor sich, wie er ihn oft heimlich sah. Walter lag dann an einem Waldrand, hatte kurze Hosen an, trug unpassende schwarze Strümpfe dazu und hatte in diesen Strümpfen nicht die Beine eines Mannes, weder die muskulösen, noch die dünnen, sondern die eines Mädchens, eines nicht sehr schönen Mädchens, mit sanften, unschönen Beinen. Er hatte die Hände unter dem Kopf gekreuzt, sah hinaus in die Landschaft, über die einst seine unsterblichen Werke rollen sollten, und verbreitete das Gefühl, daß man ihn durch eine Ansprache stören würde. Dieses Bild liebte Ulrich eigentlich sehr. So hatte Walter in seiner Jugend ausgesehen. Und Ulrich dachte: Was uns getrennt hat, ist nicht die Musik – denn er konnte sich ganz gut eine Musik vorstellen, die so unpersönlich und überdinglich und jedesmal ein

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