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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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gesprochen; ich muß Ihnen leider sagen, Herr Generaldirektor, daß Ihr Wunsch auf kaum überwindliche Schwierigkeiten stößt.»
    Fischel hob traurig und empört die Hände. «Aber man darf doch einen Geistigen nicht wider den Geist zwingen! Gnädige Frau, der Bursche hat so Ideen von Kriegsdienstverweigerung, und die Herren werden ihn mir noch erschießen!»
    «Ja,» erwiderte Diotima «wie recht Sie haben! Man sollte einen Geistigen nicht wider den Geist zwingen. Sie sprechen meine Meinung aus. Aber wie soll man das einem General begreiflich machen?!»
    Es trat eine Pause ein. Fischel meinte fast, er müsse gehen, aber als er die Füße räusperte, legte ihm Diotima die Hand auf den Arm, mit stummer Erlaubnis, noch zu bleiben. Sie schien nachzudenken. Fischel zerbrach sich den Kopf, wie er ihr zu einem guten Einfall verhelfen könnte. Er hätte ihr gerne Geld für den führenden Herrn des Kriegsministeriums angeboten, von dem sie gesprochen hatte; aber ein solcher Gedanke war zu jener Zeit Wahnwitz. Fischel fühlte sich ohnmächtig. «Ein Midas!» fiel ihm ein; warum, wußte er nicht genau, und suchte sich an diese alte Geschichte zu erinnern, die irgendwie doch anders war. Dabei beschlugen sich seine Augengläser fast vor Rührung.
    In diesem Augenblick kehrte Diotima zurück. «Ich glaube, Herr Generaldirektor, daß ich Ihnen vielleicht doch ein wenig helfen kann. Ich würde mich jedenfalls freuen, es zu können. Ich komme nicht los davon, daß man einen Geistigen nicht wider den Geist zwingen darf! Von der Art dieses Geistes spricht man natürlich besser zu den Herren des Kriegsministeriums nicht zu viel.»
    Leo Fischel schloß sich dienstfertig dieser Verwahrung an.
    «Aber der Fall hat doch sozusagen auch eine mütterliche Seite,» fuhr Diotima fort «eine weibliche, unlogische; ich meine, bei soundsoviel tausend Soldaten kann es doch auf einen einzelnen nicht ankommen. Ich werde versuchen, einem hohen Offizier, mit dem ich befreundet bin, begreiflich zu machen, daß Seine Erlaucht aus politischen Gründen Wert darauf legt, diesen jungen Mann freizubekommen; man soll ja doch immer die rechten Leute auf den rechten Platz stellen, und ihr zukünftiger Schwiegersohn stiftet in einer Kaserne nicht den geringsten Nutzen, wogegen er –: nun irgendwie denke ich mir das so. Leider sind die Herren Militärs ungemein widerstrebend gegen Ausnahmen. Aber, was ich hoffe, ist, daß wir für den jungen Mann wenigstens eine Beurlaubung auf längere Zeit erwirken können, und dann kann man ja über das Weitere noch nachdenken.»
    Leo Fischel beugte sich entzückt über Diotimas Hand. Er hatte volles Vertrauen zu dieser Frau gewonnen.
    Dieser Besuch blieb auch nicht ohne Einfluß auf seine Denkweise. Aus begreiflichen Gründen war er in der letzten Zeit sehr materiell geworden. Seine Lebenserfahrungen hatten ihn auf den Standpunkt geführt, daß ein rechter Mann seine Sache selbst machen müsse. Unabhängig sein; nichts von anderen brauchen, wofür man nicht begehrte Gegenwerte hat: das ist aber auch ein Protestantengefühl, so gut wie nur das der ersten Kolonisten in Amerika es gewesen ist.
    Leo Fischel philosophierte noch immer gern, wenngleich seine Zeit dafür noch viel knapper geworden war. Seine Geschäfte brachten ihn jetzt manchmal in Berührung mit dem hohen Klerus. Er stellte fest, daß es der Fehler aller Religionen sei, die Tugend nur negativ, als Enthaltsamkeit und Selbstlosigkeit zu lehren; das macht sie unzeitgemäß und gibt den Geschäften, die man machen muß, beinahe etwas von heimlichen Sündenfällen. Dagegen hatte ihn die öffentliche Religion der Tüchtigkeit ergriffen, wie er sie in Deutschland bei seinen Geschäften antraf. Einem tüchtigen Menschen hilft man gern, mit anderen Worten, er findet überall Kredit: das war eine positive Formel, mit der man etwas schaffen konnte. Sie lehrte hilfsbereit sein, ohne auf Dankbarkeit zu rechnen, genau so wie es die christliche Lehre verlangt, aber schloß nicht die Unsicherheit ein, daß man sich auf irgendein edles Gefühl eines anderen Menschen verlassen müsse, sondern benützte den Egoismus als die einzige verläßliche Eigenschaft des Menschen, die er ohne Zweifel ist. Das Geld aber ist ein geniales Mittel, um diese Grundeigenschaft berechenbar und regulierbar zu machen. Es ist geordnete Selbstsucht, ins Verhältnis gebracht zur Tüchtigkeit. Eine ungeheure Organisation der Ichsucht nach der Rangordnung, es zu verdienen. Es ist eine schöpferische

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