Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
verkomme. Sie war noch immer nicht ins Elternhaus zurückgekehrt, hielt sich verborgen und war sehr stolz, weil sie eine Klavierstunde gefunden hatte und damit ein paar Kreuzer zu dem Geld hinzuverdiente, das ihr ihre Freundinnen liehen. Leo Fischel machte damals die größten Anstrengungen, um sie zurückzugewinnen, und so legte sich Ulrich aufs Vermitteln. Gerda ließ sich nach langem Hin und Her und väterlichen Ermahnungen Ulrichs zu dem Versprechen herbei, die Rückkehr in ihr Elternhaus in wohlwollende Erwägung zu ziehen, falls ihr Papa sich bereiterkläre und es zuwege bringe und Ulrich es unterstütze, Hans aus seinem Verhängnis zu befreien. Ulrich sprach mit Generaldirektor Fischel darüber, und Generaldirektor Fischel hätte damals Schlimmeres begangen, als man von ihm verlangte, um seine Tochter wiederzubekommen. Er wandte sich an Graf Leinsdorf. Generaldirektor Leo Fischel stand mit seiner Erlaucht in emsiger Geschäftsverbindung. Seine Erlaucht empfahl ihn nach einigem Bedauern und Überlegen an Diotima, die mit dem Kriegsministerium augenblicklich innige Fühlung hätte und auch aus dem Grund in diesem Fall geeigneter sei als er selbst, weil diese ganze Angelegenheit, und besonders durch die nicht ganz reguläre Lösung, die sie erfordere, doch eher eine Sache der Frau, des Herzens und des weiblichen Taktes sei. So kam Leo Fischel zu Diotima.
    Sie war schon durch Graf Leinsdorf in Kenntnis des Besuches gesetzt worden, und Fischel empfing einen großen Eindruck durch sie. Er hatte gedacht, daß der Abschnitt, wo etwas Geistiges ihm Bewunderung abzwingen könne, hinter ihm läge. Aber es schien, daß schöne Frauen besonders geeignet waren, seine neue Härte weich zu machen. Den ersten Rückfall hatte er bei Leona gehabt. Leona hatte ein Gesicht, wie es Generaldirektor Fischels Eltern bewundert haben würden, und dieses Gesicht fiel ihm wieder ein, als er Diotima sah, obgleich eigentlich keine Ähnlichkeit bestand. Zu jener Zeit hätte auch der armseligste Zeichenlehrer oder Photograph sich nicht ruhig gefühlt, wenn er nicht in seinen Haaren oder seinem Schlips etwas von genialem Hauch gespürt hätte. Darum war auch Leona für Leo nicht einfach schön, sondern sie war ein Genie an Schönheit gewesen; das war der besondere Reiz, durch den sie ihn zu gewagten Unternehmungen verleitet hatte. «Schade, daß sie einen so unwürdigen Charakter hatte,» dachte Fischel «ihre dicken hohen Beine, waren entschieden schöner, als es die ausgetrockneten Beine dieser modernen Tänzerinnen sind.» Weiterhin wußte er nicht, ob es die ausgetrockneten Beine waren oder der unangenehme Charakter, was ihn auf seine Gattin Klementine brachte, aber jedenfalls erinnerte er sich mit Rührung der ersten glücklichen Jahre seiner Ehe, denn damals hatten er und Klementine noch an den Wert des Genies geglaubt, und wenn man es wohlwollend überlegte, war das gar nicht so falsch gewesen; Leo Fischels Lebenslinie wies, so betrachtet, keinen Bruch auf, denn letzten Endes war der Glaube, daß es bevorzugte Genies gebe, eine Möglichkeit, um rücksichtslose und gewagte Geschäfte zu rechtfertigen. Diotima hatte die Eigenschaft, solche weit durch die Seele schweifenden Gedanken wachzurufen, wenn man ihr zum erstenmal gegenübersaß, und Generaldirektor Fischel brauchte indessen nur einmal durch seine Favorits zu fahren und seinen Klemmer zurechtzurücken, ehe er mit einem Seufzer zu sprechen anhub. Diotima bestätigte diesen Seufzer mit einem mütterlichen Lächeln, und ehe Fischel noch zu etwas anderem kam, sagte diese für ihre außerordentliche Einfühlungsgabe mit Recht berühmte Frau zu ihm: «Ich bin von dem Zweck Ihres Besuchs unterrichtet worden. Es ist traurig: die heutige Menschheit vermißt auf das schmerzlichste, daß sie keine Genies mehr hervorbringt, und andererseits leugnet und verfolgt sie jedes junge Talent, aus dem vielleicht eins werden könnte.»
    Fischel wagte die Frage: «Gnädige Frau haben gehört, wie es meinem Schützling ergeht? Er ist ein Aufrührer. Nun: wenn schon? Alle großen Leute waren in ihrer Jugend Aufrührer. Ich bin übrigens gar nicht damit einverstanden. Aber er ist außerdem, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, eine Zangengeburt; sein Kopf ist etwas eingedrückt worden, er ist außerordentlich reizbar, und ich habe mir gedacht, daß das vielleicht ein Weg sein könnte ...?»
    Diotima hob traurig die Augenbrauen. «Ich habe mit einem der führenden Herren des Kriegsministeriums darüber

Weitere Kostenlose Bücher