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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Großorganisation, aufgebaut auf der Gemeinheit. Nicht Kaiser, noch Könige haben die Leidenschaften so gezähmt wie das Geld. Fischel dachte oft darüber nach, welcher menschliche Halbgott das Geld erfunden haben mochte. Wäre schon alles dem Gelde zugänglich und würde jede Sache ihren Preis haben, wovon man leider noch entfernt ist, so würde eine andere Moral als das Bestehen des Handels überhaupt nicht nötig sein. Dies war seine Meinung und Überzeugung.
    Er hatte schon in der Zeit seiner Verehrung für die großen Menschheitsideen immer auch eine gewisse Abneigung dagegen gehabt, wenn ein anderer von ihnen sprach. Wenn jemand schlechtweg Tugend sagt oder Schönheit, hat das etwas so Unnatürliches und Geziertes, wie wenn ein Österreicher in der Mitvergangenheit spricht. Jetzt war das noch gewachsen. Sein Leben ging in Arbeit, Machtstreben, Betriebsamkeit und der Abhängigkeit von Sachgrößen auf, die er beobachten und benutzen mußte. Das Geistige kam ihm immer mehr wie Wolken vor, die mit der Erde keinen Zusammenhang haben. Aber er war nicht glücklicher. Er fühlte sich irgendwo geschwächt. Alle Vergnügungen kamen ihm äußerlicher vor als früher. Er steigerte die Reize, mit dem Erfolg, daß er sich doch nur mehr zerstreute. Er machte sich über seine Tochter lustig, aber im geheimen beneidete er sie um ihre Ideen.
    Und wie Diotima so sehr natürlich und zwanglos von Muttergefühl, Seele, Geist und Güte gesprochen hatte, hatte er immerzu gedacht: das wäre eine Mutter für Gerda! (?Frau für dich) Die Tränen rannen ihm ordentlich im Inneren herunter, so schön sprach sie, und so befriedigt konnte er verfolgen, wie aus diesen großen Worten in der vornehmsten Weise ein kleiner Korruptionsfall entstand, denn das war doch schließlich ihre Erfüllung seiner Bitte, mochte sie welche Gründe immer haben. In gewissen Fällen, wenn es sich um etwas Unrechtes handelt, ist der Idealismus doch beinahe noch besser, als die nackte Berechnung; das war die Lehre, die Fischel unmittelbar aus den Eindrücken seines Besuchs gezogen hatte, und die bei Gelegenheit eindringlich zu überlegen, er sich am Weiterweg vornahm.
    [◁]
112
    Clarisse läßt müde ab. Im Sanatorium
    [Früher Entwurf]
    Hausarzt: Aufenthalt in einem Sanatorium geraten; ein bißchen Liege- und Mastkur. Es ist nicht gut für die Nerven, wenn sie ganz ohne Fett daliegen – nachdem er den völlig knabenhaft gewordenen Körper Clarissens betrachtet hatte.
    Zur freudigen Überraschung Walters leistete Clarisse keinen Widerstand. Sie hat die erste Etappe zurückgelegt, nun ist es ganz gut, wenn sie sich ausruht und kräftigt. Außerdem hatte sie das Gefühl: «ich muß alles allein machen». (Sie empfand: alle sind doch nur halb; Walter, Ulrich, Meingast.) Sie fühlte ihren Kopf wie ein Berghaupt, um das Wolken ziehen; sie empfand Sehnsucht nach dem Horizontalen, sich ausstrecken, niederlegen, in einer stärkeren Luft als der der Stadt. Grünes, Umrankendes, Lichtdämpfendes schwebte ihr vor; Land, wie eine starke Hand, die zum Schlafen zwingt.
    Wo. hatte sich angeboten, sie hinzubringen; Walter konnte vom Dienst nicht weg; litt, als ob sein Herz durch eine Wurstmaschine getrieben würde, als er die beiden abreisen sah.
    Als Clarisse in dem Sanatorium eintraf, musterte sie es wie ein General. Mit ihrer Niedergeschlagenheit mischte sich schon wieder ein Gefühl ihrer Mission und Göttlichkeit, sie prüfte die Einrichtungen und Ärzte selbstbewußt auf die Frage, ob sie imstande sein würden, die Umwälzung der Weltideen zu umhegen, welche von hier ausgehen würden.
    Die Diagnose, die man ihr gestellt hatte, war allgemeine Erschöpfung und Neurasthenie; Clarisse lebte ruhig und sorgsam bedient. Die fortwährenden Stöße, die ihren Körper wie eine Eisenbahnfahrt geschüttelt hatten, hörten auf; sie glaubte plötzlich zu erkennen, daß sie krank gewesen sei, während nun der Boden unter ihr wieder fester und elastischer wurde; sie empfand Zärtlichkeit für ihren gesundenden Körper (vorher Appetitlosigkeit, Durchfall ...), welcher ihren Geist nun auch «sorgsam bediente», wie sie, erfreut von dieser Einheit des Geschehens, feststellte. Aber die Geschehnisse der jüngsten Zeit kamen ihr mit einemmal fragwürdig vor.
    Sie beschaffte sich Schreibzeug und ging daran, ihre Erfahrungen niederzuschreiben.
    Sie schrieb einen Tag lang beinahe vom Morgen bis zum Abend. Ohne Bedürfnisse nach Luft und Essen; es fiel ihr auf, daß die körperlichen Tätigkeiten

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