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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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dem Augenblick, wo etwas Ungewöhnliches um sich greift, steigen sie aus ihrer Versteinerung. Alle Tage läuten die Glocken, aber wenn eine Feuersbrunst ausbricht oder ein Volk zu den Waffen gerufen wird, zeigt sich erst, was für Gefühle in ihnen getobt und gebimmelt haben. Alle Tage schreiben die Zeitungen gewisse ihnen gleichgültige Sätze, mit denen sie herkömmliche Geschehnisse herkömmlich verzeichnen, aber wenn eine Revolution droht oder etwas Neues geschehen soll, zeigt sich mit einemmal, daß die Worte nicht ausreichen und auf die ältesten Ladenhüter und Geistgespenster zurückgegriffen werden muß, um abzuwehren oder zu begrüßen. Bei jeder großen allgemeinen Mobilisierung, sei sie friedlich oder kriegerisch, tritt der Geist unausgerüstet und behangen mit Vergessenheiten an.
    Zwischen dieses Mißverhältnis der persönlichen und allgemeinen, der lebendigen und Reservegrundsätze war Hans geraten. Man hätte sich unter anderen Umständen begnügt, ihn wenig sympathisch zu finden, aber die behördliche Zuschrift hatte ihn aus der Mitte der Privatpersonen herausgehoben, zu einem Gegenstand des öffentlichen Denkens gemacht, und seine Vorgesetzten daran gemahnt, daß sie auf ihn nicht ihre unerzogenen, aber abwechslungsreichen eigenen Gefühle anzuwenden hatten, sondern die allgemein gültigen, die ihnen Verdruß und Langeweile bereiteten und in jedem Augenblick zügellos entarten konnten wie die Handlungen eines Trunkenen oder eines Hysterischen, der ganz deutlich fühlt, daß er in seinem Rausch wie in einer zu großen fremden Hülse steckt.
    Nur darf man nicht glauben, daß Hans etwa mißhandelt wurde und ihm Unerlaubtes geschah: im Gegenteil, er wurde vollkommen vorschriftsmäßig behandelt und bloß jenes Quentchen menschlicher Wärme fehlte – nein, man kann nicht sagen, Wärme; aber Kohle, Brennstoff, vorhanden, um allenfalls bei günstiger Gelegenheit gebraucht zu werden, – das selbst in einer Kaserne noch zuhause ist. Durch die Abwesenheit jeder persönlichen Wohlwollensmöglichkeit wirkten die rechtwinkligen Gebäude, die eintönigen Mauern, mit den blauen Figuren darauf, die endlosen Geraden der Gänge, mit den unzähligen parallelen Schrägstrichen der daraufhängenden Gewehre, wirkten die den Tag einteilenden Trompetensignale und Vorschriften als die klare, kalte Auskristallisation eines Geistes, der Hans Sepp bis dahin fremd gewesen war, des Geistes der Allgemeinheit, der Öffentlichkeit, der unpersönlichen Gemeinschaft oder wie man das nennen soll, der dieses Haus und diese Formen geschaffen hatte. (Vielleicht auch ein wenig: vom Erstarren zur Begrifflichkeit.)
    Das Erdrückendste war, daß er allen seinen Widerspruchsgeist wie fortgeblasen fühlte. Er hätte sich ja wie ein Missionar vorkommen können, der von einem Indianerstamm gemartert wird. Oder er hätte den Lärm der Welt aus seinen Sinnen drängen und sich in die Ströme der Jenseitigkeit versenken können. Er hätte seine Leiden als ein Symbol ansehen können, und so fort. Aber alle diese Gedanken waren wie ohnmächtige Schatten, seit man ihm eine Militärmütze aufs Haupt gesetzt hatte. Die feine Welt des Geistes verblaßte zu einem Gespenst, das hier, wo tausend Menschen beisammen wohnten, nicht eindringen konnte. Sein Kopf war verödet und abgewelkt.
    Hans Sepp hatte Gerda bei der Mutter eines seiner Freunde untergebracht. Er sah sie selten und dann war er meist mürrisch vor Müdigkeit und Verzweiflung. Gerda wollte selbständig werden, sie wollte nichts von ihm; aber sie begriff nicht die Geschehnisse, denen er ausgesetzt war. Sie hatte einigemale den Einfall gehabt, ihn nach dem Dienst abzuholen; als ob er er selbst wäre und nur von irgendeiner Veranstaltung käme. Er wich ihr in letzter Zeit aus. Er hatte nicht einmal die Kraft sich darüber zu kränken. In den Pausen des Dienstes, diesen unregelmäßigen, auf die unnützesten Zeiten fallenden Pausen, trieb er sich mit den anderen Einjährigen umher, trank Branntwein und Kaffee in der Kantine und saß in der trüben Flut ihrer Gespräche und Witze wie in einem schmutzigen Bach, ohne sich zum Aufstehen entschließen zu können. Erst jetzt haßte er zum erstenmal in seinem Leben den Soldatenstand, weil er sich seinem Einfluß unterworfen fühlte. «Mein Inneres ist jetzt nichts als das Futter eines Militärmantels» sagte er sich; aber er fühlte sich erstaunt versucht, die neuen Bewegungen in seiner Einkleidung zu erproben. Es kam vor, daß er auch nach dem Dienst mit

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