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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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anderen zusammenblieb und die etwas rohen Lustbarkeiten dieser halbselbständigen jungen Menschen verkostete.
    [◁]
111
    Leo Fischel interveniert bei Diotima
    [Entwurf]
    Wer hatte Hans Sepp die Kennzeichnung p. u. eingebracht? Merkwürdigerweise war es Graf Leinsdorf. Graf Leinsdorf hatte eines Tages Ulrich nach diesem jungen Mann ausgefragt, und Ulrich hatte ihn als einen harmlosen Wirrkopf hingestellt; aber Graf Leinsdorf mißtraute in der letzten Zeit Ulrich und fühlte sich durch dessen Auskunft in der Überzeugung bestärkt, daß er in Hans Sepp eines jener unverantwortlichen Elemente vor sich habe, die jederzeit verhinderten, daß es in Kakanien zu etwas Gutem komme. Graf Leinsdorf war in der letzten Zeit nervös geworden. Er hatte durch Generaldirektor Fischel davon gehört, daß ein ganz bestimmter Kreis unreifer junger Menschen, dessen Mittelpunkt Hans Sepp bilde, der eigentliche Urheber jener Demonstration gewesen sei, die Seiner Erlaucht mehr Unannehmlichkeiten eingetragen hatte, als man annehmen sollte. Denn dieser politische Aufzug hatte «oben» einen «ungünstigen Eindruck» gemacht. Ohne Frage war er ganz harmlos gewesen, und wenn man so etwas ernstlich verhindern will, kann das jederzeit durch eine Handvoll Polizei geschehn; aber der Eindruck, den solche Vorkommnisse machen, ist immer viel erschrecklicher, als es ihnen in Wahrheit zukommt, und kein wirklicher Politiker darf den Eindruck vernachlässigen. Graf Leinsdorf hatte darüber ernste Aussprachen mit seinem Freund, dem Polizeipräsidenten gehabt, die ergebnislos geblieben waren, und als er nachträglich den Namen Hans Sepp erfuhr, war der Präsident gerne bereit, zur Beruhigung Seiner Erlaucht diese Spur verfolgen zu lassen. Er war von vornherein überzeugt gewesen, daß ein Ergebnis, das seiner Polizei bisher entgangen war, nicht wesentlich sein könne, und wurde in dieser Auffassung durch die Erhebungen, die auf seinen Befehl stattfanden, nur bestätigt. Immerhin ergibt die Beschäftigung einer Behörde mit einer Privatperson immer, daß diese Privatperson unklar und unverläßlich sei, nämlich gemessen an den Ansprüchen, die man in einem Amt an Genauigkeit und aktenmäßige Sicherheit stellt. Der Präsident fand es darum angebracht, in dubio nicht einem Manne wie Graf Leinsdorf entgegenzuhalten, daß er sich eine Einbildung in den Kopf gesetzt habe, sondern lieber den Fall Sepp nach dem Muster behandeln zu lassen, dem Verdächtigten sei vorderhand nichts nachzuweisen gewesen, weshalb er bis zur restlosen Aufklärung verdächtig bleibe. Diese restlose Aufklärung wurde dabei stillschweigend für den St. Nimmerleinstag angesetzt, wo alle unerledigten Akten aus den Gräbern der Archive aufsteigen. Daß trotzdem Hans Sepp daraus Leid entstand, das war eine ganz unpersönliche Angelegenheit ohne jede Schikane. Ein unabgeschlossen begrabener Akt muß von Zeit zu Zeit aus dem Grab gehoben werden, um auf ihm zu bemerken, daß er noch immer nicht abgeschlossen werden könne, und einen Tag darauf zusetzen, wo ihn der Archivbeamte wieder dem Konzeptsbeamten vorzulegen habe. Das ist ein Weltgesetz der Bürokratie, und wenn es sich dabei um einen Akt handelt, der unter dem Vorwand, daß seine Grundlagen nicht vollständig seien, nie abgeschlossen werden soll, so muß man sehr gut auf ihn achtgeben, denn es kann vorkommen, daß die Beamten vorrücken, versetzt werden und sterben, und ein Neuling, der den Akt erhält, in seinem Übereifer veranlaßt, daß zu einer der letzten Erhebungen, die vor Jahren stattgefunden haben, eine kleine ergänzende Erhebung gemacht werde, die den Akt einige Wochen am Leben erhält, bis sie als Beilage endet und mit ihm verschwindet. Durch einen ähnlichen Zwischenfall war auch der Akt Hans Sepp ohne jede besondere Absicht ins Laufen gekommen; da sich Hans beim Militär befand, mußte sein Akt ins Justizministerium, von dort ins Kriegsministerium, von dort zum Korpskommando und so weiter, und es läßt sich denken, daß er durch die verschiedenen Einlaufs- und Absendungsvermerkungen, Präsentierungsstempel, Behandlungsbestätigungen und die Zusätze diensthöflich überreicht, abgetreten, zur Berichterstattung, hieramts nicht bekannt und dergleichen ein gefährliches Aussehen bekam.
    Gerda war unterdessen zu Ulrich gelaufen, verzweifelt, und berichtete, daß Hans gerettet werden müsse, weil er sich den Verhältnissen, in die er geraten sei, nicht gewachsen zeige und schon deutlich befürchten mache, daß er völlig

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