Gesammelte Werke
schmerzvolles Geheimnis auszusprechen (Dieses Emersonzitat ist vorläufig noch wörtlich!): der Mensch gehört nur halb sich selbst, die andere Hälfte ist Ausdruck. Alle Menschen verlangen nach ihm in ihrer Seelennot. Der Hund bespritzt den Stein mit sich und riecht zu seinem Exkrement: Spuren hinterlassen in der Welt, sich in der Welt ein Denkmal setzen, eine Tat, von der noch nach hunderten Jahren gesungen wird, ist der Sinn alles Heroismus. Ich habe etwas getan: das ist eine Spur, ein ungleiches, aber unvergängliches Abbild. Ich habe etwas getan: knüpft Teile der Materie an mich. Selbst etwas nur auszusprechen heißt schon, einen Sinn mehr haben zur Aneignung der Welt. Selbst nur wie Walter etwas zu beschwätzen, hat diesen Sinn. Ulrich lachte, weil ihm einfiel, daß Walter verzweifelt mit dem Gedanken herumgehen werde: Ach, ich wüßte wohl etwas dazu zu sagen ...! Es ist das tiefe Grundgefühl des Bürgers, das immer stummer und beruhigter wird. Aber Ulrich kam auf der Insel der Gesundheit dazu, allen Ehrgeiz seines Lebens zu widerrufen. Was sind selbst Theorien anderes als beschwätzen? Besprechen. Und am Ende solcher Stunden dachte Ulrich an nichts anderes als an Agathe, die ferne, die untrennbare Schwester, von der er nicht wußte, was sie tat. Und er erinnerte sich wehmütig ihres Lieblingsausspruchs: «Was kann ich also für meine Seele tun, die wie ein ungelöstes Rätsel in mir wohnt? Die dem sichtbaren Menschen die größte Willkür läßt, weil sie ihn auf keine Weise beherrschen kann?»
Clarisse legte währenddessen ihr Zeichenspiel aus; manchmal sah er sie wie ein flatterndes Tuch über die Düne huschen. «Wir spielen hier unsere Geschichte,» verlangte sie «auf der Lichtbühne dieser Insel.» Es war im Grunde nur die Übertreibung dieses sich in die Unsicherheit einprägen Müssens. Einst, als Clarisse mit Walter noch in der Oper saß, hatten sie oft gesagt: «Was ist alle Kunst! Wenn wir unsere Geschichte spielen könnten!» Auch das tat sie nun. Alle Liebenden sollten es tun. Alle Liebenden haben das Gefühl, was wir erleben, ist etwas Wunderbares, wir sind erwählte Menschen, aber sie sollten es vor einem großen Orchester und einem dunklen Zuschauerraum spielen müssen – wirkliche Liebende auf der Bühne und nicht bezahlte Personen –: nicht nur ein neues Theater entstünde, sondern auch eine ganz neue Art der Liebe, die sich ausbreiten würde, Menschengebärden durchleuchten würde, wie feines Astwerk, statt sich wie heute ins Dunkel des Kinds zu verkriechen. Das sagte Clarisse. Nur kein Kind! Statt etwas zu leisten, bekommen die Menschen Kinder! Zuweilen nannte sie die kleinen Erinnerungen, welche sie für Ulrich in den Sand legte, ihre geheimen Kinder, oder sie nannte jeden Eindruck, den sie überhaupt aufnahm, so, denn er schmolz in sie hinein wie die Frucht. (Frage Clarissens zu Ulrich: du willst kein Kind. Das gefällt mir. Die Verbrecher.) Zwischen ihr und den Dingen bestand ein fortwährendes Zeichenaustauschen und Verständigen, ein Verschworensein, eine erhöhte Korrespondenz, ein brennend lebhafter Lebensvorgang. Manchesmal steigerte sich das so stark, daß Clarisse glaubte, aus ihrem schmalen Körper herausgerissen zu werden, und wie ein Schleier über die Insel flog, rastlos, bis ihre Augen an einem kleinen Stein oder einer Muschel hängenblieben und ein gläubiges Erstaunen sie festbannte, weil sie schon einmal und immer hier gewesen war und ruhig als Spur im Sande gelegen hatte, während eine zweite Clarisse wie eine Hexe über die Insel geflogen war.
Zuweilen erschien ihr ihre Person nur noch als ein Hindernis, unnatürlich eingeschoben in den lebhaften Vorgang zwischen der auf sie einwirkenden Welt und der Welt, auf die sie wirkte. In den Augenblicken der höchsten Steigerung schien dieses Ich zu zerreißen und zu verlöschen. (Vergleiche: Klavierszene. Beethoven – Nietzschezitat. Schon damals war es Clarisse ernst mit dem Zerreißen.) Mochte sie Walter mit diesem Körper untreu sein und dieser «an der Haut befestigten Seele», es bedeutete nichts: Die frigide, abweisende Clarisse verwandelte sich zu manchen Stunden in einen Vampyr, unersättlich, als ob ein Hindernis fortgefallen wäre und sie sich zum erstenmal diesem bis dahin verbotenen Genuß hingeben dürfe. Sie schien es manchmal darauf anzulegen Ulrich auszusaugen; «ich muß noch einen Teufel aus dir austreiben!» sagte sie, er besaß eine rote Sportjacke, die mußte er manchmal auf ihr Verlangen sogar in
Weitere Kostenlose Bücher