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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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er käme, und ein großes wehmütiges Verlangen nach einer solchen Aussprache hatte. Körperlich wirkte nun, in der Erregung der Durchführung, dieser feste Beschluß freilich nicht günstig auf sie; es ist die Wahrheit, daß er ihr im Magen lag wie eine harte Speise, wenn die Aufregung alle Säfte, die sie auflösen könnten, zurücktreten läßt, und Diotima fühlte kalten Schweiß auf Stirn und Nacken wie bei einer Übelkeit. Sie wurde von sich erst abgelenkt durch den Eindruck, den ihr die Ankunft bei Ulrich machte; den kleinen Park, wo die Glühbirnen an den Baumstämmen eine Gasse bildeten als sie hindurchschritten, fand sie bezaubernd, die Halle mit den Hirschgeweihen und der kleinen Barocktreppe erinnerte sie an Hifthorn, Meute und Kavaliere, und sie konnte sich – da solche Eindrücke in der Nacht doch verstärkt werden und ihre Schwächen verbergen – vor Bewunderung ihres Vetters nicht fassen, der niemals ein Aufheben von diesem Besitz gemacht hatte, sondern, wie es immer schien, darüber nur spottete.
    Ulrich lachte und besorgte warmes Getränk. «Das ist, näher gesehen, eine dumme Spielerei,» sagte er «aber wir wollen nicht von mir sprechen. Erzählen Sie mir, was Ihnen geschehen ist!»
    Diotima brachte kein Wort hervor, das war ihr noch nie widerfahren; sie saß in ihrer Uniform und fühlte sich von den vielen Glühbirnen beleuchtet, die Ulrich angezündet hatte. Es beirrte sie. –
    «Also Arnheim hat sich unschön benommen?» half Ulrich nach.
    Diotima nickte. Dann begann sie: Arnheim sei frei, zu machen, was er wolle. Zwischen ihr und ihm sei nie etwas vorgekommen, was ihm, im gewöhnlichen Sinn, Pflichten auferlegen oder Rechte geben sollte.
    «Aber wenn ich richtig beobachtet habe, stand es zwischen Ihnen doch schon so, daß Sie sich scheiden lassen und ihn heiraten wollten?» warf Ulrich ein.
    «Oh heiraten?» sagte der Oberst. «Wir hätten vielleicht geheiratet, wenn er sich besser benommen hätte; das kann kommen, wie ein Band, das man zum Schluß noch lose auflegt, aber es soll kein Reif zum Zusammenhalten sein!»
    «Und was hat Arnheim getan? Meinen Sie seinen Seitensprung mit Leona?»
    «Sie kennen diese Person?»
    «Flüchtig.»
    «Sie ist schön?»
    «Das kann man vielleicht sagen.»
    «Hat sie Charme? Geist? Welchen Geist hat sie?»
    «Aber liebe Kusine, sie hat nicht den geringsten Geist!»
    Diotima schlug ein Bein über das andere und ließ sich eine Zigarette reichen; sie hatte etwas Mut gefunden.
    «Sie sind aus Protest in diesem Kostüm auf dem Fest erschienen?» fragte Ulrich. «Habe ich recht? Sie wären sonst durch nichts dazu zu bringen gewesen. Eine Art Übermann in Ihnen hat Sie verlockt, nach dem Versagen der Männer; ich kann es nicht recht ausdrücken.»
    «Aber mein Lieber» begann Diotima, und plötzlich rannen ihr hinter dem Rauch der Zigarette die Tränen wieder über das Gesicht. «Ich war die älteste von fünf Töchtern. Meine ganze Jugend lang habe ich die Mutter spielen müssen; wir haben keine Mutter gehabt; ich habe immer alle Fragen beantworten müssen, alles besser wissen müssen. Ich habe Sektionschef Tuzzi geheiratet, weil er um vieles älter war als ich und schon die Haare zu verlieren begann; ich wollte endlich einmal einen Menschen haben, dem ich mich unterwerfen durfte, aus dessen Hand mein Scheitel die Gnade oder Ungnade empfing. Ich bin nicht unweiblich. Ich bin nicht so stolz, wie Sie mich kennen. Ich beichte Ihnen, daß ich während der ersten Jahre in den Armen Tuzzis Wonnen empfunden habe wie ein kleines Mädchen, das der Tod zu Gott dem Vater entführt. Aber seit Jahren muß ich ihn verachten. Er ist ein platter Nützlichkeitsmensch. Von allem anderen sieht und versteht er nichts. Begreifen Sie, was das bedeutet?!»
    Diotima war aufgesprungen; ihr Mantel war am Stuhl liegen geblieben; das Haar hing ihr konventsmäßig in die Wangen; ihre linke Hand stützte sich bald männlich auf den Säbelknauf, bald griff sie sich damit weiblich in die Haare; ihr rechter Arm machte große rednerische Bewegungen; sie stellte das Bein vor oder schloß die Beine eng zusammen, und der runde Bauch in den weißen Reithosen hatte, was merkwürdigerweise komisch wirkte, nicht die kleinste Unregelmäßigkeit, wie sie den Mann verrät. Ulrich bemerkte erst jetzt, daß Diotima leicht betrunken war. Sie hatte auf dem Fest in ihrer kummervollen Stimmung mehrere Gläser schweren Getränks hintereinander getrunken, und nun, nachdem auch Ulrich ihr Alkohol angeboten hatte,

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