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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Menschen in ihren Weg führte. Noch am gleichen Abend schrieb sie ihm einen Brief. Sein Inhalt war: ich bin die einzige Frau, die Sie lieben werden. Sie begründete es ausführlich. «Sie sind von guter Mannesgröße,» schrieb sie ihm «aber haben eine frauenähnliche Figur und weibliche Hände. Sie haben eine ‹Geiernase›, das ist eine Adlernase, der das unnütze Übermaß von Kraft genommen ist; es ist schöner als eine Adlernase. Sie haben große dunkle tiefe Augenhöhlen; schmerzhafte Lasterhöhlen. Sie kennen die Welt, die Überwelt und Unterwelt. Ich habe gleich bemerkt, daß Sie mich hypnotisieren wollten, obgleich Ihr Blick eigentlich müde und furchtsam war. Sie haben erraten, daß ich Ihr Schicksal bin.
    Ich bin nicht hier, weil ich krank bin. Sondern weil ich instinktiv immer die rechten Mittel wähle. Mein Blut läuft langsam. Niemand hat je an mir Fieber konstatieren können. Schlechterdings unnachweisbar irgendeine lokale Entartung; kein organisch bedingtes Magenleiden, wie sehr auch immer, als Folge der Gesamterschöpfung, die tiefste Schwäche des gastrischen Systems. Mag Ihnen übrigens unser Arzt was immer sagen, als Summe bin ich gesund, mag ich selbst als Winkel krank sein. Beweis: eben jene Energie zur absoluten Vereinsamung und Herauslösung, die mich hierher gebracht hat. Ich habe mit unbedingter Sicherheit erraten, was augenblicklich nottut; ein typisch krankes Wesen kann überhaupt nicht gesund werden, noch weniger sich selbst gesund machen. Achten Sie auf mich. Ich habe deshalb auch mit unbedingter Sicherheit erraten, was Ihnen nottut.
    Sie sind der große Hermaphrodit, auf den alle warten. Ihnen haben die Götter Männliches und Weibliches zu gleichen Teilen geschenkt. Sie werden die strahlende Welt von dem dunklen unsagbaren Zwiespalt der Liebe erlösen. Oh, wie ich es verstanden habe, als Sie ausriefen, daß keine Frau Sie festzuhalten vermag! Ich aber bin der große weibliche Hermaphrodit. Dem kein Mann zu genügen vermochte. Einsam trage ich den Zwie-Spalt. Den Sie nur im Geist und also dennoch noch als Sehnsucht besitzen, die wir überwinden müssen. Mit einem schwarzen Schild davor. Kommen Sie. Eine göttliche Begegnung hat uns hierher geführt. Wir dürfen unserem Schicksal nicht ausweichen und die Welt neue hundert Jahre warten lassen ...!»
    Am nächsten Tag brachte ihr der Grieche den Brief zurück. Er tat es aus Diskretion persönlich. Er sagte ihr, daß er ihr keinen Anlaß geben wolle, ihm derartiges zu schreiben. Seine Ablehnung war vornehm und bestimmt. Sein Gesicht, kinodämonisch, hypnotiseurhaft, männlich, wäre, in jeden beliebigen Menschenauflauf hineingestellt, augenblicklich der Mittelpunkt des Bildes geworden. Aber seine Hände waren frauenhaft schwach, die Kopfhaut unter dem dichten schwarzblauen sorgfältigen Scheitel zuckte zuweilen unfreiwillig und seine Augen zitterten ein wenig, während sie Clarisse betrachteten. Clarisse hatte sich in der Tat unter dem Einfluß der Mastkur und neuer Stimmungen schon in den wenigen Tagen körperlich verändert; sie war dicker und gröber geworden, und ihre arbeitsharten Klavierhände, die sich in der Aufregung spannten und krallten, erregten in dem Levantiner eine eigenartige Furcht; er mußte sie immerzu betrachten, hatte Fluchtimpulse und konnte nicht aufstehen.
    Clarisse wiederholte ihm, daß er seinem Schicksal nicht ausweichen dürfe, und griff nach ihm. Er sah die entsetzliche Hand daherkommen und vermochte sich nicht zu regen. Erst als ihr Mund an seinen Augen vorbei zu seinem glitt, fand er die Kraft aufzuspringen und zu fliehn. Clarisse hielt ihn am Beinkleid fest und suchte ihn zu umschlingen. Er stieß einen leisen Laut des Ekels und der Angst aus und erreichte den Ausgang.
    Clarisse war entzückt. Sie behielt das Gefühl zurück, daß dieser Mann von ungeheurer seltener, geradezu dämonischer Reinheit sei; aber auch die Unanständigkeiten, welche sie selbst begangen hatte, waren in diesem Gefühl gefärbt. Ihr Atem ging hoch und breit; die Genugtuung, dem Befehl ihrer inneren Stimme über die letzten Rücksichten weg gefolgt zu sein, spannte ihre Brust wie Metallfedern. Eigentlich vergaß sie für vierundzwanzig Stunden alles, was sie hierhergeführt hatte, Sendung und Leiden; ihr Herz schoß keine Pfeile mehr gegen den Himmel, sie kamen, alle vor dem abgesandten, einer nach dem andern zurück und durchbohrten es. Sie litt mit Stolz qualvolle Schmerzen des Verlangens. Vierundzwanzig Stunden lang. Diese frigide

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