Gesammelte Werke
sagen Sie dazu, daß sich Hans Sepp erschossen hat?»
«Haben Sie mich darum gesucht?»
«Nein, nicht deswegen. Wegen Geschäften und wegen dem General und Arnheim, mit denen Sie befreundet sind. Wie Sie mich hier sehen, bin ich nicht mehr in der Lloydbank, sondern bin ein eigener Mann geworden. Ein großes Wort, sage ich Ihnen! Ich habe große Unannehmlichkeiten gehabt, aber jetzt geht es mir, Gott sei Dank, glänzend –»
«Unannehmlichkeiten nennen Sie, wenn ich mich nicht irre, daß man seine Stellung verliert?»
«Ja, ich habe meine Stellung bei der Lloydbank Gott sei Dank verloren; sonst wäre ich heute noch Prokurist mit dem Titel eines Direktors und bliebe es, bis man mich in Pension schickte. Als ich das habe aufgeben müssen, hat meine Frau die Scheidung gegen mich eingeleitet –»
«Was Sie sagen! Sie haben wirklich viel Neues zu erzählen!»
«Ts!» machte Fischel. «Wir wohnen nicht mehr in unserer alten Wohnung. Meine Frau ist für die Scheidung zu ihrem Bruder gezogen.» Er holte eine Visitenkarte hervor: «Und das ist meine Adresse. Ich hoffe, Sie besuchen mich bald». Auf der Karte las Ulrich «Generaldirektor» und einige jener vieldeutigen Titel wie «Import und Export» und «Transeuropäische Waren- und Geldverkehrsgesellschaft» und eine vornehme Anschrift. «Sie können sich nicht vorstellen, wie man von selbst aufsteigt» erklärte ihm Fischel. «Wenn bloß einmal alle diese Gewichte wie Familie und Beamtenstellung, vornehme Verwandtschaft der Frau und die Verantwortung vor den großen Menschheitsgeistern von einem genommen werden! Ich bin in wenigen Wochen ein einflußreicher Mann geworden. Auch ein wohlhabender Mann. Vielleicht werde ich übermorgen wieder nichts haben, aber vielleicht auch noch viel mehr!»
«Was sind Sie jetzt eigentlich?»
«Das kann man einem Außenstehenden nicht so mir nichts, dir nichts erklären. Ich mache Geschäfte. Warengeschäfte, Geldgeschäfte, politische Geschäfte, künstlerische Geschäfte. Die Hauptsache ist bei jedem Geschäft, daß man sich im rechten Augenblick davon zurückzieht; dann kann man nie daran verlieren –» Wie nur je in alten Zeiten schien es Leo Fischel Freude zu bereiten, sein Tun mit «Philosophie» zu begleiten. Ulrich hörte ihm neugierig zu, dann sagte er:
«Bei alledem ist es mir aber auch wichtig zu erfahren, was Gerda zum Selbstmord von Hans gesagt hat.»
«Daß ich ihn ermordet hätte, behauptet sie! Dabei waren sie schon vorher ganz auseinandergekommen ...»
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Gartenfest
Am gleichen Abend mußte Ulrich bei einem Gartenfest erscheinen. Er konnte nicht wohl absagen und hätte es doch getan, wenn ihn seine Mißstimmung nicht gerade hingetrieben hätte. Aber er erschien spät. Der größere Teil der Besucher hatte die Masken bereits abgelegt. Zwischen den Bäumen des alten Parks flammten Fackeln, die wie brennende Spieße in den Rasen gerammt oder mit Klammern an den Stämmen befestigt worden waren. Mit weißen Tüchern gedeckte riesige Tische waren aufgestellt. Eine flackernde Feuersbrunst rötete die Rinde der Bäume, das lautlos über den Häuptern schwebende Blätterdach und die Gesichter unzähliger zusammengedrängter Menschen, die auf einige Entfernung nur aus solchen roten und schwarzen Flecken zu bestehen schienen. Es hatte wohl bei den Damen als Parole gegolten, in Männertracht zu erscheinen: Frau Maja Sommer als Maria-Theresianischer Soldat, die Malerin von Hartbach als Tiroler Sepp mit nackten Knien, und Frau Klara Kahn, die Gattin des berühmten Arztes, allerdings in einem Beardsley-Kostüm. Ulrich stellte fest, daß auch von den jüngeren Damen des Hochadels, soweit er sie von Angesicht kannte, viele eine männliche oder knabenhafte Erscheinung gewählt hatten, es gab da Jockeis, Liftjungen, halbmännliche Dianen, weibliche Hamlets und beleibte Türken. Die vor nicht langer Zeit befürwortete Mode des Hosenrocks schien, obgleich ihr niemand gefolgt war, doch auf die Phantasie gewirkt zu haben; für die damalige Zeit, wo die Frauen höchstens von der Erde bis zur halben Wade der Welt angehörten, von da bis zum Hals aber nur ihren Gatten und Liebhabern, und auf einem Fest, wo man Mitglieder des Kaiserlichen Hauses erwarten durfte, war das etwas Unerhörtes, eine Revolution, wenn auch nur eine aus Laune, und der Vorbote vulgärer Sitten, die vorherzusehen die älteren und dickeren Damen damals schon bevorzugt waren, während die anderen nichts als die Ausgelassenheit bemerkten. Ulrich glaubte es
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