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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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war der Glanz des Rausches davon wieder frisch gefirnißt worden. Aber ihre Trunkenheit war gerade nur so groß, daß sie die Hemmungen und Einbildungen wegschwemmte, aus denen sie sonst bestand, und legte eigentlich nur so etwas wie ihre natürliche Natur bloß, allerdings auch das nicht ganz, denn sowie Diotima nun auf Arnheim zu sprechen kam, begann sie von ihrer Seele zu reden.
    Sie habe ihre ganze Seele diesem Mann gegeben, ob Ulrich glaube, daß ein Österreicher in solchen Fragen ein feineres Empfinden, mehr Kultur habe?
    «Nein.»
    «Vielleicht doch!» Arnheim sei gewiß ein bedeutender Mensch. Aber er habe schmählich versagt. Schmählich! «Ich habe ihm alles gegeben, er hat mich ausgenutzt, und nun bin ich arm!»
    Es war klar, das übernatürliche andeutende Liebesspiel mit Arnheim, körperlich höchstens bis zu einem Kuß ansteigend, gedanklich dagegen grenzenlos und ein schwebendes Duett der Seelen, hatte in seiner wochenlangen, und zuletzt durch das Zerwürfnis Diotimas mit ihrem Gatten, reinen Dauer, das natürliche Feuer in Diotima so geschürt, daß man, respektlos gesagt, es gleichsam mit einem Ruck unter dem Kessel wegreißen sollte, um irgendein Unglück zerberstender Nerven zu verhüten. Das war es, was Diotima, bewußt oder nicht, von Ulrich verlangte. Sie hatte sich auf ein Sofa gesetzt, ihr Schwert lag über ihren Knien und über ihren Augen der schweflige Nebel der leichten Entrücktheit, als sie zu Ulrich sagte: «Hören Sie, Ulrich, Sie sind der einzige Mensch, vor dem ich mich nicht schäme. Weil Sie so schlecht sind. Weil Sie so viel schlechter als ich sind –!»
    Ulrich war verzweifelt. Die Umstände erinnerten ihn an einen Auftritt mit Gerda, der sich vor Wochen hier abgespielt hatte, Ergebnis vorangegangener Überreizung wie dieser. Aber Diotima war kein Mädchen, das von verbotenen Umarmungen überreizt worden ist. Ihre Lippen waren groß und offen, ihr Körper feucht und atmend wie aufgeworfene Gartenerde, und ihre Augen unter dem Schleier des Verlangens wie zwei in einen dunklen Gang geöffnete Tore. Aber Ulrich dachte gar nicht an Gerda; er sah Agathe vor sich, und er hätte schreien mögen vor Eifersucht, im Anblick dieses weiblichen Unvermögens, länger Widerstand zu leisten, obgleich er seinen eigenen Widerstand von Sekunde zu Sekunde schwinden fühlte. Schon spiegelte ihm seine Erwartung das Brechen dieser Augen vor, ihr Glanzloswerden, wie es nur der Tod und die Liebe hervorrufen, das ohnmächtige Aufbrechen der Lippen, zwischen denen sich der letzte Atem fortschleicht, und er konnte es kaum noch erwarten, diesen Menschen, den er da vor sich hatte, ganz zusammenbrechen zu fühlen und ihm zuzusehen, während er sich im Moder wand, wie ein Kapuziner, der in die Schädelgruft hinabsteigt. Wahrscheinlich gingen da seine Gedanken schon in einer Richtung, in der er Rettung erhoffte, denn er wehrte sich mit allen Kräften gegen seinen eigenen Zusammenbruch. Er hatte die Fäuste geballt und bohrte seine Augen, von Diotima aus gesehen, fürchterlich in ihr Gesicht. In diesem Augenblick empfand sie nichts als Angst und Anerkennung für ihn. Da fiel Ulrich ein verzerrter Gedanke ein, oder er las ihn aus der Verzerrung des Gesichtes, in das er blickte. Leise und bedeutsam erwiderte er: «Sie wissen gar nicht, wie schlecht ich bin. Ich kann Sie nicht lieben; ich müßte Sie schlagen dürfen, um Sie lieben zu können –!»
    Diotima blickte ihm blöde in die Augen. Ulrich hoffte ihren Stolz zu verletzen, ihre Eitelkeit, ihre Vernunft; vielleicht waren es aber auch nur die natürlichen, in ihm aufgehäuften Gefühle des Grolls gegen sie, die er aussprach.
    Er fuhr fort: «Ich denke seit Monaten an nichts anderes, als Sie zu schlagen, bis Sie brüllen wie ein kleines Kind!» In diesem Augenblick hatte er sie aber schon bei den Schultern gepackt, nahe beim Hals. Die Opferblödheit in ihrem Gesicht nahm zu. Noch zuckten Ansätze darin, etwas zu sagen, die Lage durch eine überlegene Bemerkung zu retten. In ihren Schenkeln zuckten Ansätze, aufzustehen, und kehrten vor dem Ziel um. Ulrich hatte ihren Pallasch ergriffen und halb aus der Scheide gezogen. Um Gotteswillen! – fühlte er – ich werde, wenn nicht etwas dazwischen tritt, sie damit über den Kopf schlagen, bis sie kein Zeichen ihres verfluchten Lebens mehr von sich gibt! – Er bemerkte nicht, daß in dem napoleonischen Obersten indessen eine entscheidende Veränderung vor sich ging. Diotima seufzte schwer auf, als entflöhe die

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