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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sich erlassen zu dürfen, den alten Fürsten zu begrüßen, um den sich als Hausherrn immer ein Kreis von Menschen versammelt hielt, während er ihm kaum bekannt war; er suchte Tuzzi, dem er etwas zu bestellen hatte, und als er ihn nirgends traf, nahm er an, daß der arbeitsame Mann schon nach Hause gegangen sein werde, und schlenderte vom Mittelpunkt des Treibens fort an den Rand einer Baumgruppe, von wo man, über ein ungeheures Rasenparterre hinweg, den Blick aufs Schloß hatte. Das prachtvolle alte Schloß hatte eine Art Rampenlicht angesteckt, lange Reihen elektrischer Lämpchen, die unter den Gesimsen hin oder die Pfeiler hinauf liefen und die Formen der Architektur gleichsam aus dem Schatten schmolzen, als sei der strenge alte Meister, der sie erdacht hatte, mit unter den Gästen und hätte einen kleinen Schwips unter einer weisseidenen Papiermütze. Man konnte unten die Dienerschaft bei den dunklen Türöffnungen ein- und auslaufen sehen, und oben wölbte sich der häßliche rotgraue Nachthimmel der Großstadt wie ein Schirm nach vorne, in den anderen, dunkelreinen Nachthimmel hinein, den man mit seinen Sternen erblickte, wenn man das Auge in die Höhe hob. Ulrich tat es und war wie trunken von einem Gemisch aus Widerwillen und Freude. Als er seinen Blick sinken ließ, gewahrte er eine Gestalt in seiner Nähe, die ihm vorher entgangen war.
    Es war die einer großen Frau im Kostüm eines napoleonischen Obersten, und sie trug noch eine Maske; Ulrich erkannte daran sofort, daß es Diotima war. Sie tat, als bemerke sie ihn nicht, und blickte versunken auf das leuchtende Schloß. –
    «Guten Abend, Kusine!» sprach er sie an. «Versuchen Sie nicht zu leugnen, ich erkenne Sie unfehlbar daran, daß Sie als einzige noch eine Maske tragen.»
    «Wie meinen Sie das?» fragte die Maske.
    «Sehr einfach: Sie fühlen sich beschämt. Erklären Sie mir, warum so viele Damen in Hosen erschienen sind?»
    Diotima zuckte heftig die Achseln. «Es hat sich herumgesprochen. Mein Gott, ich habe es begriffen, die alten Ideen sind schon so erschöpft. Aber ich muß Ihnen wirklich gestehen, daß ich mich verdrießlich fühle; es war eine unfeine Idee, man glaubt in eine Theaterredoute geraten zu sein.»
    «Das Ganze ist unmöglich» meinte Ulrich. «Solche Feste gelingen heute nicht mehr, weil ihre Zeit vorüber ist.»
    «Ach!» erwiderte Diotima obenhin. Sie fand den Anblick des Schlosses träumerisch.
    «Herr Oberst befehlen mir wovon eine richtigere Auffassung zu haben?» fragte Ulrich und betrachtete herausfordernd den Körper Diotimas.
    «Ach lieber Freund, sagen Sie nicht Oberst zu mir!»
    Es war etwas Neues in ihrer Stimme. Ulrich trat nahe an sie heran. Sie hatte die Maske abgenommen. Er bemerkte zwei Tränen, die langsam aus ihren Augen traten. Dieser große weinende Offizier war sehr närrisch, aber auch sehr schön. Er ergriff ihre Hand und fragte leise, was ihr fehle. Diotima konnte nicht antworten; ein Schluchzen, das sie sich zu unterdrücken bemühte, bewegte den hellen Schein ihrer unter dem zurückgeschlagenen Mantel hoch hinaufreichenden weißen Reithosen. So standen sie im Halbdunkel des in den Wiesen versinkenden Lichts.
    «Wir können uns hier nicht aussprechen,» flüsterte Ulrich «folgen Sie mir anderswohin. Ich bringe Sie, wenn Sie erlauben, zu mir.»
    Diotima suchte ihre Hand aus der seinen zu ziehn; als es nicht gelang, ließ sie es sein. An dieser Bewegung fühlte Ulrich, was er kaum glauben konnte, daß seine Stunde bei dieser Frau gekommen sei. Er faßte Diotima ehrbar um die Taille und führte sie, zart stützend, tiefer in den Schatten hinein und dann in einem Bogen zur Ausfahrt.
    Ehe sie wieder ins Licht traten, hatte Diotima ihre Tränen getrocknet und ihre Aufregung wenigstens äußerlich bemeistert.
    «Sie haben nie bemerkt, Ulrich,» sagte sie mit tiefer Stimme «daß ich Sie schon seit langem liebe; wie einen Bruder. Ich habe keinen Menschen, mit dem ich sprechen kann.»
    Da Leute in der Nähe waren, murmelte Ulrich nur: «Kommen Sie, wir werden sprechen.»
    Im Wagen aber sagte er kein Wort, und Diotima drückte sich, ihren Mantel ängstlich zusammenhaltend, von ihm fort in die Ecke. Sie war entschlossen, ihm ihr Leid zu klagen, und ein Entschluß Diotimas war immer eine feste Sache; obgleich sie in ihrem ganzen Leben nie des Nachts bei einem anderen Mann gewesen war als bei Sektionschef Tuzzi, folgte sie Ulrich, weil sie sich, ehe sie ihn traf, vorgenommen hatte, sich mit ihm auszusprechen, falls

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