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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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jenen einen geliebten Menschen; er mochte irgend etwas denken, ihr fiel ein, daß sie es nicht wissen konnte, – in ihr selbst taumelte zu gleicher Zeit ein wegloses Empfinden, von der Dunkelheit ihres Leibs geschützt. In diesem Augenblick empfand sie ihren Körper, der alles, was er fühlte, wie eine Heimat umhegte, als eine unklare Hemmung. Sie spürte sein Gefühl von sich, das, näher als alles andere, um sie geschlossen war, mit einemmal wie eine unentrinnbare Treulosigkeit, die sie von dem Geliebten trennte, und in einem ohnmächtig auf sie niedersinkenden, noch nie gekannten Erlebnis war ihr, als verkehrte sich ihr die letzte Treue – die sie mit ihrem Körper wahrte – meinem unheimlichen innersten Grunde in ihr Widerspiel.
    Vielleicht hatte sie da nichts als den Wunsch, diesen Leib ihrem Geliebten hinzugeben, aber durchzittert von der tiefen Unsicherheit der seelischen Werte faßte er sie wie das Verlangen nach jenem Fremden, und während sie in die Möglichkeit starrte, daß sie sich, noch wenn sie in ihrem Körper das sie Zerstörende erlitte, durch ihn als sie selbst empfinden würde, und vor seinem geheimnisvoll jeder seelischen Entscheidung ausweichenden Gefühl von sich wie vor etwas finster und leer sie in sich selbst Einschließendem schauderte, lockte sie bitterselig ihr Leib, ihn von sich zu stoßen, in der Wertlosigkeit der sinnlichen Verlorenheit von einem Fremden ihn niedergestreckt und wie mit Messern aufgebrochen zu fühlen, ihn mit Grauen und Ekel und Gewalt und ungewollten Zuckungen füllen zu lassen, – um ihn in einer seltsam bis zur letzten Wahrhaftigkeit geöffneten Treue um dieses Nichts, dieses Schwankende, dieses gestaltlose Überall, diese Krankengewißheit von Seele dennoch wie den Rand einer traumhaften Wunde zu fühlen, der in den Schmerzen des endlos erneuten Zusammenwachsenwollens vergeblich den anderen sucht.
    Wie ein Licht hinter zartem Geäder stieg zwischen ihren Gedanken aus dem wartenden Dunkel der Jahre, allmählich sie einhüllend, diese Sterbenssehnsucht ihrer Liebe empor. Und irgendeinmal plötzlich hörte sie sich weit weg im strahlend Ausgespannten antworten, als hätte sie aufgenommen, was der Ministerialrat sagte: «Ich weiß nicht, ob er es ertragen könnte ...»
    Zum erstenmal sprach sie da von ihrem Mann; sie schrak auf, es schien nicht ins Wirkliche zu gehören; aber schon fühlte sie die unaufhaltsame Macht des ins Leben entlaufenen Worts. Rasch zufassend sagte der Ministerialrat: «Ja lieben Sie ihn denn?» Es entging ihr nicht das Lächerliche der vermeintlichen Sicherheit, mit der er zustieß, und sie sagte: «Nein; nein, ich liebe ihn ja gar nicht.» Zitternd und entschlossen.
    Als sie oben in ihrem Zimmer war, verstand sie es kaum noch, aber sie fühlte den vermummten, unbegreiflichen Reiz ihrer Lüge. Sie dachte an ihren Mann; zuweilen leuchtete etwas von ihm auf, wie wenn man von der Straße in erhellte Zimmer blickt; daran fühlte sie erst, was sie tat. Er sah schön aus, sie wollte bei ihm stehn, dann strahlte dieses Licht auch in ihr. Aber sie duckte sich in ihre Lüge zurück und dann stand sie wieder außen, auf der Straße, im Finstern. Es fror sie; daß sie lebte, tat ihr weh; jedes Ding, das sie ansah, jeder Atemzug. Wie in eine warme, strahlende Kugel konnte sie in jenes Gefühl zu ihrem Mann schlüpfen, sie war dort geschützt, die Dinge stießen nicht wie scharfe Schiffsschnäbel durch die Nacht, sie wurden weich aufgefangen, gehemmt. Und sie wollte nicht.
    Sie erinnerte, daß sie schon einmal gelogen hatte. Nicht früher, denn nie war es eine Lüge damals, das war einfach sie. Aber einmal, im spätern, obwohl es die Wahrheit war, bloß als sie sagte, daß sie spazierengegangen sei, abends, zwei Stunden lang, hatte sie gelogen; sie begriff plötzlich, daß sie damals zum erstenmal gelogen hatte. So wie sie vorhin im Zimmer unten zwischen den Menschen saß, ging sie damals durch die Straßen, verloren hin und her, unruhig wie ein verlaufener Hund, und sah in die Häuser; und irgendwo öffnete irgend jemand einer Frau seine Tür, mit seiner Liebenswürdigkeit, seiner Gebärde, mit dem Aussehen seines Empfangs zufrieden; und irgendwo anders ging einer mit seiner Frau zu Besuch und war vollkommene Würde, Gatte und Gleichgewicht; und überall waren wie in einem breiten, gleichmütig alles beherbergenden Wasser kleine wirbelnde Mittelpunkte, mit einem Kreisen um sich, einer nach innen sehenden Bewegung, die irgendwo plötzlich, blind,

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