Gesammelte Werke
Helligkeit ist man, die sich in die Weite dehnt. Aber das Leben, das knöcherne Leben, das entscheidende Leben hakt sich achtlos anderswo Glied in Glied, man handelt nicht.
Sie erhob sich plötzlich vollends und der Gedanke es tun zu müssen trieb sie lautlos vorwärts; ihre Hände lösten den Riegel. Aber es blieb still, niemand pochte. Sie öffnete die Tür und sah hinaus; niemand, die leeren Wände starrten in dem trüben Licht der Lampe um einen leeren Raum. Sie mußte es nicht gehört haben, als er wegging.
Sie legte sich nieder. Vorwürfe gingen ihr durch den Kopf. Schon von Schlaf umrändert, empfand sie, ich tue dir weh, aber sie hatte das seltsame Gefühl, alles was ich tue, tust du. Schon im Schlaf vergessend, war ihr, wir geben alles preis, was sich preisgeben läßt, um uns mit dem, woran niemand heran kann, fester zu umschlingen. Und nur einmal, für einen Augenblick ganz wach herauf geschleudert, dachte sie: Dieser Mensch wird über uns siegen. Aber was bedeutet Siegen? Und ihr Denken glitt schläfernd an dieser Frage wieder hinab. Sie empfand ihr schlechtes Gewissen wie eine letzte sie begleitende Zärtlichkeit. Eine große, dunkel die Welt vertiefende Eigensucht hob sich über sie wie über einen, der sterben muß, sie sah hinter ihren geschlossenen Augen Büsche, Wolken und Vögel und wurde so klein dazwischen und doch war alles nur wie für sie da. Und es kam ein Augenblick des sich Schließens und alles Fremde aus sich Ausschließens und in einer halb schon träumenden Vollendung eine große, ganz rein sie enthaltende Liebe. Ein zitterndes Auflösen aller scheinbaren Gegensätze.
Der Ministerialrat kam nicht wieder; so schlief sie ein, ruhig, bei offener Tür, wie ein Baum auf der Wiese.
Am nächsten Morgen setzte ein linder, geheimnisvoller Tag ein. Ihr Erwachen war wie hinter hellen Gardinen, die alles Wirkliche des Lichts außen zurückhalten. Sie ging spazieren, der Ministerialrat begleitete sie. Etwas Schwankendes wie eine Trunkenheit von der blauen Luft und dem weißen Schnee war in ihr. Sie kamen an den Rand des Orts, sie sahen hinaus, die weiße Fläche hatte etwas Strahlendes und Feierliches.
Sie standen an einem Zaun, der einen kleinen Feldweg sperrte, eine Bäuerin schüttete den Hühnern das Futter, ein Fleckchen gelbes Moos leuchtete ganz hell in den Himmel. «Glauben Sie ...», fragte Claudine und blickte durch die Gasse zurück in die lichtblaue Luft und führte den Satz nicht zu Ende und sagte nach einer Weile: «... wie lange mag dieser Kranz dort hängen? Ob die Luft es spürt? Wie lebt er?» Sonst sagte sie nichts und wußte auch nicht, warum sie dies sagte; der Ministerialrat lächelte. Ihr war, als stünde alles in Metall gegraben und noch zitternd von dem Druck der Stichel.
Sie stand neben diesem Menschen und während sie fühlte, daß er sie ansah und was immer an ihr bemerken mochte, ordnete sich in ihrem Innern etwas und lag hell und weit wie Feld neben Feld unter den Augen eines kreisenden Vogels.
Dieses Leben blau und dunkel und mit einem kleinen, gelben Fleck ... was will es? Dieses Locken der Hühner und leise Aufschlagen der Körner, durch das es plötzlich wie der Schlag einer Stunde geht, ... zu wem spricht es? Dieses Wortlose, das sich in die Tiefe hineinfrißt und nur manchmal durch den engen Spalt weniger Sekunden in einem Vorübergehenden heraufschießt und sonst tot bleibt, ... was soll es? Sie blickte es an, mit schweigenden Augen und spürte die Dinge, ohne sie zu denken, bloß wie Hände manchmal auf einer Stirn ruhn, wenn nichts mehr sagbar ist.
Und dann hörte sie alles nur mehr mit einem Lächeln. Der Ministerialrat glaubte, die Maschen seines Gewebes sorgfältig enger um sie zu ziehn, sie ließ ihn gewähren. Es war ihr nur, während er redete, wie wenn man zwischen Häusern geht, in denen Menschen sprechen, in das Gefüge ihres Nachdenkens schob sich zuweilen ein zweites und zog ihre Gedanken mit sich, dahin, dorthin, sie folgte ihm freiwillig, tauchte dann für eine Weile wieder in sich selbst auf, halb, dämmernd, versank, so ein leise durcheinanderfließendes Gefangennehmen war es.
Dazwischen spürte sie, als ob es ihr eigenes Gefühl wäre, wie dieser Mensch sich liebte. Die Vorstellung seiner Zärtlichkeit für sich erregte sie leise sinnlich. Es war ein Stillwerden darum, wie wenn man in einen Bezirk trat, in dem stumme, andre Entscheidungen gelten. Sie fühlte sich von dem Ministerialrat gedrängt und fühlte sich nachgeben, aber es kam
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