Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
fensterlos ans Gleichgültige grenzte; und überall innen war dieses Gehaltenwerden vom eigenen Widerhall in einem engen Raum, der jedes Wort auffängt und bis zum nächsten verlängert, damit man nicht hört, was man nicht ertragen könnte, – den Zwischenraum, den Abgrund zwischen den Stößen zweier Handlungen, in den man von dem Gefühl von sich fortsinkt, irgendwohin in das Schweigen zwischen zwei Worten, das ebensogut das Schweigen zwischen den Worten eines ganz anderen Menschen sein könnte.
    Und da befiel es sie im geheimen: irgendwo unter diesen lebt ein Mensch, ein unpassender, ein anderer, aber man hätte sich ihm noch anpassen können und man würde nie etwas von dem Ich wissen, das man heute ist. Denn Gefühle leben nur in einer langen Kette anderer, einander haltend, und es kommt bloß darauf an, daß ein Punkt des Lebens sich ohne Lücke an den andern reiht, und es gibt hundert Weisen. Und da durchfuhr sie zum erstenmal seit ihrer Liebe der Gedanke: es ist Zufall; durch irgendeinen Zufall wurde es wirklich und dann hält man es fest. Und sie fühlte sich zum erstenmal undeutlich bis auf den Grund und spürte dieses letzte, die Wurzel, die Unbedingtheit zerstörende, antlitzlose Gefühl von sich in ihrer Liebe, das sie auch sonst immer wieder zu ihr selbst gemacht hätte und sie von niemandem unterschied. Und da war ihr, als müßte sie sich sinken lassen, wieder ins Treibende, ins Unverwirklichte, ins Nirgendzuhause, und sie lief durch die Traurigkeit der leeren Straßen und sah in die Häuser und wollte keine andere Gesellschaft als den Laut ihrer Absätze auf den Steinen, in dem sie sich, bis auf das bloß Lebendige eingeschränkt, laufen hörte, bald vor sich, bald hinter sich.
    Aber während sie damals nur das Zerfallende begriff, den unaufhörlich bewegten Hintergrund unverwirklichter Gefühlsschatten, vor dem jede Kraft sich aneinander zu halten abglitt, die Entwertung, das Unbeweisbare, vom Verstand nicht zu Fassende des eigenen Lebens, und fast weinte, verwirrt und ermüdet von der Verschlossenheit, in die sie eintrat, – hatte sie jetzt, in dem Augenblick, wo es ihr wieder einfiel, was an Vereinigung darin war bis zu Ende erlitten, in dieser durchscheinend, schimmernd dünnen Verletzlichkeit der lebensnotwendigen Einbildungen: das traumdunkelenge Nur durch den andern sein, das Inseleinsame des Nichterwachendürfens, dieses wie zwischen zwei Spiegeln Gleitende der Liebe, hinter denen man das Nichts weiß, und sie fühlte hier in diesem Zimmer, von ihrem falschen Geständnis wie von einer Maske bedeckt, auf das Abenteuer eines andern Menschen in ihr wartend, das wunderbare, gefahrvolle, steigernde Wesen der Lüge und des Betrugs in der Liebe, – heimlich aus sich heraustreten, ins nicht mehr dem andern Erreichbare, ins Gemiedene, in die Auflösung des Alleinseins, um der großen Wahrhaftigkeit willen in die Leere die zuweilen, einen Augenblick lang, sich hinter den Idealen auftut.
    Und mit einemmal hörte sie verheimlichte Schritte, ein Knarren der Treppe, ein Stehenbleiben; vor ihrer Tür ein leise auf der Diele knarrendes Stehenbleiben.
    Ihre Augen richteten sich gegen den Eingang; es erschien ihr sonderbar, daß hinter diesen dünnen Brettern ein Mensch stand; sie fühlte nur den Einfluß des Gleichgültigen dabei, des Zufälligen dieser Tür, an deren beiden Seiten sich Spannungen, einander unfindbar, stauten.
    Sie hatte sich schon entkleidet. Auf dem Stuhl vor dem Bett lagen ihre Röcke noch so, wie sie sie eben von sich gestreift hatte. Die Luft dieses heute an den, morgen an jenen vermieteten Zimmers betastete sich mit dem Duft von ihrer Innenseite. Sie sah im Zimmer umher. Sie bemerkte ein messingnes Schloß, das schief an einer Kommode herabhing, ihre Augen weilten auf einem kleinen, zerschabten, von vielen Füßen vertretenen Teppich vor ihrem Bett. Sie dachte plötzlich an den Geruch, der von der Haut dieser Füße ausging und hineinging, in Seelen fremder Menschen hineinging, vertraut, schützend wie der Geruch des Elternhauses. Es war eine eigentümlich zwiefältig flimmernde Vorstellung, bald fremd und ekelerregend, bald unwiderstehlich, als strömte die Eigenliebe aller dieser Menschen in sie herüber und ihr bliebe nichts von sich als ein zusehendes Bemerken. Und noch immer stand jener Mensch vor ihrer Tür und regte sich nur in kleinen, unwillkürlichen Lauten.
    Da packte sie eine Lust, sich auf diesen Teppich zu werfen, die ekligen Spuren dieser Füße zu küssen und wie

Weitere Kostenlose Bücher