Gesammelte Werke
suchen hat. Da es keine dinglichen Transzendenzen gibt, kann das Noema solchen auch nicht kontrastiert werden und ist auch als Kontrastbegriff ganz überflüssig. Aber nicht einmal als ein anderer Ausdruck für unser »immanentes Ding an sich« kann das Noema angenommen werden, da der Terminus bei Husserl ja gelegentlich für
alle
mittelbaren Gegebenheiten, für
alle
»Inhalte intentionaler Erlebnisse« angewandt wird. Will man
alles
mittelbar Gegebene, ohne Rücksicht darauf, ob es selbst einmal Erlebnis war oder nicht, Noema nennen, so mag man das immerhin tun. Nur muß man sich klar darüber sein, daß mit der Unterscheidung dieser Noemata von den Noesen, den intentionalen Erlebnissen, keineswegs die fundamentale erkenntnistheoretische Disjunktion gewonnen ist, und muß sich wohl hüten, ihr die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz zu gesellen, wie es Husserls letzte Absicht ist. Von einem »wunderbaren Bewußthaben« mittelbarer Gegebenheiten kann keine Rede sein; das Bewußthaben von mittelbar Gegebenem gründet einsichtigerweise in den transzendentalen Bedingungen unseres persönlichen Bewußtseins.
Es ist evident, daß der Gegensatz von Noema und Noesis nicht zum Leitprinzip der Erkenntnistheorie gemacht werden darf; dies Leitprinzip ist vielmehr der Gegensatz von
dinglichem
und
phänomenalem
Sein. Von »Noemen« in dem Sinne, in dem wir das Wort allenfalls anwenden dürfen, als Inbegriff
aller
mittelbaren Gegebenheiten, wissen wir nur durch die intentionalen Erlebnisse,
in
denen sie zur Gegebenheit kommen; die Noesen und Noemata sind unablösbar. Wir aber können für den Rest unserer Untersuchung den Begriff »Noema« ganz entbehren.
Auch Husserls Forderung nach getrennten Formenlehren der Noemen und Noesen kann uns nicht beirren. Husserl begründet seine Forderung damit, daß diese Formenlehren sich nicht »wie
Spiegelbilder
zueinander« 184 verhielten; das gehe schon aus dem hervor, was in Hinsicht auf die Zusammengehörigkeit von einheitlichen Qualitäten im Dingnoema und ihren hyletischen Abschattungsmannigfaltigkeiten in den möglichen Dingwahrnehmungen ausgeführt worden sei. Allein in dieser Begründung rächt sich die Mehrdeutigkeit von Husserls Noema-Begriff, in dem zwischen mittelbar gegebenen realen und idealen Inhalten nicht unterschieden wird. Die Unterscheidung von Abgeschattetem und Abschattung ist die von Ding und Erlebnis. Und daraus, daß der Einheit des individualgesetzlichen Zusammenhanges die Vielheit der Phänomene gegenübersteht, folgt keineswegs, daß unmittelbares und mittelbares Gegebensein sich inadäquat zueinander verhielte. Will man die mittelbaren Gegebenheiten systematisieren, so hat man dabei nach dem unmittelbar Gegebenen und seinem Zusammenhang sich zu richten. Denn alles mittelbar Gegebene, von dem wir mit dem Anspruch auf Wahrheit reden dürfen, hat seine Begründung letztlich in den Phänomenen und muß sich auf sie zurückführen lassen.
III. Das Ding und die
»Rechtsprechung der Vernunft«
Das erste Kapitel verfolgte kritisch den Ansatz dinglicher Transzendenzen in Husserls Phänomenologie. Im zweiten ergaben sich die Konsequenzen jenes Ansatzes für den Begriff des Noema und schließlich der phänomenologischen epoxh. Dabei mußten wir zeigen, wie Husserl dazu kommt, die Analyse der transzendentalen Bedingungen des Bewußtseins von der Frage nach der erkenntnistheoretischen Legitimität der Dingwelt zu trennen, und mußten diese Trennung als unrechtmäßig zurückweisen. Es bleibt übrig, zu betrachten, wie Husserl nun seinerseits die Legitimität der Dingwelt zu begründen strebt. Da er als Richterin über die »Wirklichkeit« von Dingen oder, wie wir sagen müssen, über den Wahrheitsanspruch dinglicher Urteile die
Vernunft
anruft – die gleiche Vernunft, deren Bereich er die dinglichen »Transzendenzen« entheben wollte –, so werden sich manche Irrtümer seiner Dingtheorie und seiner Lehre von der noetisch-noematischen Struktur berichtigen; der Systemgedanke seiner »Vernunfttheorie« ist denn auch, wie sich herausstellen wird, dem Ansatz dinglicher Transzendenzen genau entgegen. Allein dadurch, daß Husserl die »Rechtsprechung der Vernunft« von der Strukturanalyse des persönlichen Bewußtseinszusammenhanges trennt, bleiben trotzdem viele jener Irrtümer erhalten und werden verhängnisvoll für Husserls »Vernunfttheorie«.
Daß Husserl der Lehre von den noetisch-noematischen Strukturen eine eigene »Phänomenologie der Vernunft« folgen
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