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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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von Ihnen besteht aus Praktikern. Während Sie das Ungenügen am heteronomen Betrieb des praktischen Daseins ebenso stark empfinden wie wir Theoretiker das an der Ohnmacht unserer Gedanken, können Sie doch im Ansatz und in der Struktur Ihres Denkens kaum unberührt bleiben vom Umgang mit der Praxis. Sie sind gewohnt, daß man Ihnen Probleme vorlegt, für die bündige Lösungen erwartet werden. Zu diesen Problemen gehören nicht die der heutigen Diskussion. Denn sie stammen nicht aus einem in sich geschlossenen, wohldefinierten Gegenstandsgebiet, in dem für alles, was auftaucht, wenigstens typische Möglichkeiten der Lösung vorgesehen sind. Unsere Macht zu bestimmen, was etwa Humanismus sei oder sein sollte, ist unvergleichlich viel geringer als die eines Ingenieurs, Architekten oder Chemikers, etwas zu Konstruierendes zu finden. Daß wir oft in Versuchung stehen, diesen Unterschied zu verkennen und alle Fragen, die überhaupt sich stellen, als technische zu betrachten, ist selbst ein Symptom der Krise der Bildung. Hüten Sie sich also vor allem vor der Meinung, das, was wir hier verhandeln, gehöre nicht in Ihr Ressort, sondern in das der Philosophen und Geisteswissenschaftler, und diese könnten Ihnen jene verpflichtenden Antworten an die Hand geben, die Sie in der eigenen Disziplin vergebens suchen. Wer hätte schon das Recht, sich selbst im Ernst einen Philosophen zu nennen. Wir stehen dem Komplex des Humanismus heute zunächst einmal genau so hilflos gegenüber wie Sie, und ich halte es für eine Forderung der einfachen Aufrichtigkeit, das erst einmal mit ungespielter Bescheidenheit auszusprechen. Daß Grundfragen, an denen die Gestalt des gesamten Lebens hängt, verschiedenen Ressorts überantwortet werden, ist selbst ein Symptom des bestürzenden Zustandes der Entfremdung der Menschen voneinander und der Entfremdung jedes einzelnen von sich selber. Ich warne Sie daher von Anbeginn, arglos auf die Arbeitsteilung zu vertrauen und sich Aufschluß über Bildung und Humanismus von denen zu erhoffen, die damit berufsmäßig sich befassen. Gerade daß Bildung und Humanismus mit bestimmten Berufen und Spezialkenntnissen automatisch verknüpft werden, zeigt an, daß es damit nicht in Ordnung ist. Erwarten Sie insbesondere auf Ihre präzis formulierten Fragen keine ebenso präzisen und eindeutigen Thesen. Wenn ich in den meisten Fällen nicht mit einem strikten Ja oder Nein antworte, so ist das nicht Ausdruck von Lauheit oder Ängstlichkeit. Vielmehr beziehen die Fragen sich auf eine so verstrickte Realität, daß sie nach Ja oder Nein sich schlechterdings nicht erledigen lassen. Der Begriff des Erledigens selber ist ihnen unangemessen.
    Das gilt vorab dafür, ob die heutige Technik als ein autonomer Prozeß verstanden werden könne, ob sie Eigengesetzlichkeit besitze. Ja und Nein. Auf der einen Seite schreiben die technischen Probleme in sich streng geschlossene und nach den Gesetzen der mathematischen Naturwissenschaften organisierte geistige und dann auch reale Prozesse vor. Wie ein Haus so zu errichten sei, daß es nicht zusammenstürzt, darüber befindet die Statik. Sie setzt einen in sich geschlossenen technologischen Zusammenhang, dem man Autonomie kaum wird abstreiten können. Wenn Ihnen in derartige Lösungszusammenhänge etwa ein Soziologe hereinreden und an Ihren Formeln sich vergreifen wollte, so würden Sie ihn mit Recht schleunigst aus Ihren Arbeitsstätten entfernen.
    Andererseits aber spielen diese Prozesse sich doch auch nicht in einem Vakuum ab. Es gibt keine technologische Aufgabe, die nicht in die Gesellschaft fällt. Ihre Aufgaben kommen Ihnen in Gestalt von Aufträgen von der Gesellschaft zu. Selbst da, wo Sie sich als Herren im Hause fühlen, werden Sie mit gesellschaftlichen Anforderungen konfrontiert, wie etwa der, daß die von Ihnen verlangten Lösungen im Rahmen des finanziell Möglichen bleiben sollen, daß sie sich als rentabel erweisen müssen, oftmals, daß sie in einer bestimmten Zeit erwartet werden. Weit darüber hinaus jedoch ist die gesamte Entwicklung der Technologie selbst gesellschaftlich determiniert. Gesellschaft und Technik sind seit dem Beginn des neueren Zeitalters so ineinander verflochten, daß die Frage nach der Priorität von Wirtschaft oder Technik an die mahnt, ob das Huhn oder das Ei zuerst dagewesen ist. Wenn ich mich nicht täusche, so wird davon auch die innere Zusammensetzung der technischen Arbeit berührt. Die gesellschaftlichen Zwecke sind nichts Äußerliches,

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