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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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damit jenes Bereich, das man Ethik zu nennen pflegt, gehen in das, was wir als Berufstätige leisten, nur wenig und vor allem: nur vermittelt ein. Es wäre rückständig, eine Art Maschinenstürmerei auf höherer Stufe, wenn man sich so benähme, als wäre der Atomforscher unmittelbar derselbe wie das Individuum Dr. X., das die Forschung ausübt, und als müßten gar seine privaten Überzeugungen eine Art Kontrolle über seine wissenschaftliche Arbeit ausüben. Ein Ethos, das die Erkenntnis bremst, wäre äußerst fragwürdig. Die Trennung gesellschaftlicher und technischer Vernunft läßt sich nicht überwinden, indem man sie verleugnet. Wohl steht es dagegen an, daß gerade der Techniker warnt vor dem Unabsehbaren, das seine Erfindungen heute der Menschheit androhen. Seine Autorität, die Tatsache, daß er diese Potentialien viel besser einzuschätzen weiß als der Laie, werden seiner Warnung größeres Gewicht verleihen, als den von außen kommenden. Ich glaube aber nicht, daß diese Warnungen entscheiden. Ob die moderne Technik der Menschheit schließlich zum Heil oder Unheil gereicht, das liegt nicht an den Technikern, nicht einmal an der Technik selber, sondern an dem Gebrauch, den die Gesellschaft von ihr macht. Dieser Gebrauch ist keine Sache des guten oder bösen Willens, sondern hängt ab von der objektiven gesamtgesellschaftlichen Struktur. Die Technik würde nicht nur befreit werden, sondern auch zu sich selbst kommen in einer menschenwürdig eingerichteten Gesellschaft. Wenn den Techniker heute zuweilen der Horror vor dem überfällt, was mit seinen Erfindungen geschehen mag, so ist es wohl die beste Reaktion auf diesen Horror, zu versuchen, etwas zu einer menschenwürdigen Gesellschaft beizutragen.
    Sie fragen schließlich nach der Heraufkunft eines neuen Bildungsideals. Am Scheitern des humanistischen Bildungsideals lassen die meisten von Ihnen ja wenig Zweifel, und ich bin darin mit Ihnen einig. Daß es scheiterte, daß es der Kultur nicht gelang, ihre eigene Menschheit zu kultivieren, ist nicht nur Schuld der Menschen, sondern auch der Kultur, die, losgetrennt vom Gedanken der verwirklichten Menschheit, ein Moment der Unwahrheit und des Scheins hat, dem nun heimgezahlt wird, indem die Menschen die Kultur von sich abwerfen. Ein neues Bildungsideal läßt sich daher nicht frisch-fröhlich postulieren. Bloße Anpassung an die Technik vermöchte es nicht zu stiften. Bildung ist nicht Anpassung, obwohl sie so wenig ohne ein Moment von Anpassung gedacht werden kann wie ohne das eines verwandelt sich durchhaltenden Substantiellen. Nicht, daß darum Kultur etwas Höheres und Feineres als die Technik wäre. Dafür gilt sie nur dort, wo sie bereits verloren ist. Aber die Technik ist nicht das primäre gesellschaftliche Wesen, nicht die Sache selbst, nicht die Menschheit, sondern nur etwas Abgeleitetes, die Organisationsform der menschlichen Arbeit. Ein neues Bildungsideal auszumalen, etwa die Synthese des humanistischen und des technischen Menschen, halte ich für so wenig fruchtbar wie alle Kultursynthesen. Es ist ein Gemeinplatz, den zu wiederholen nur der Aberglaube an die Allmacht von Maßnahmen nötigt, daß Bildung sich nicht dekretieren läßt. Sie muß aus den objektiven geschichtlichen Bedingungen hervorgehen. Die Fragen, um die wir uns hier bemühen, reichen ins Urgestein der Gesellschaft, und es wäre wohl illusionär, sie pädagogisch oder durch Arten der Menschensteuerung lösen zu wollen, die selber der blinden Vorherrschaft der Technik entspringen. Ich müßte lügen, wenn ich Ihnen sagen wollte, daß ich im Bestehenden eine substantielle, neu sich auskristallisierende Bildung, wäre es auch nur der Tendenz nach, beobachten könnte. Ich meine, uns bleibt nichts anderes übrig, als in äußerster kritischer Wachheit und vollem Bewußtsein der Bildung zum Überwintern zu verhelfen, also soviel von ihr festzuhalten, wie uns erreichbar ist, ohne uns doch einzubilden, daß damit etwas Entscheidendes für die Einrichtung der Welt geschehen sei. Heute gibt nur in der Kritik der Bildung und andererseits im kritischen Bewußtsein der Technik von sich selber und der Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in die wir verstrickt sind, die Hoffnung auf eine Gestalt der Bildung sich kund, die sich nicht mehr die Humboldtische, längst schattenhafte Pflege der Persönlichkeit zur Aufgabe setzt. Die Form, in der wir heute und hier allenfalls den Humanismus real erfahren können, ist die

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