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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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auf das Sie bloß Rücksicht zu nehmen hätten. Ich rede gar nicht davon, daß gerade die entscheidendsten technischen Entwicklungen unserer Zeit unmittelbar hervorgerufen worden sind von dem paradoxen gesellschaftlichen Bedürfnis nach Zerstörungsmitteln. Es will mir scheinen, daß die gesellschaftliche Verflochtenheit noch viel weiter geht; daß etwa die Zentralisierung der wirtschaftlichen Macht die Technik selbst einseitig in eine zentralistische Richtung gedrängt hat, oder daß die technischen Rationalisierungsmaßnahmen bis jetzt eher der Produktivität der Arbeit als den arbeitenden Personen zugute kommen. Umgekehrt sind, wie neuerdings besonders der französische Soziologe Georges Friedmann mit großem Nachdruck gezeigt hat, die jüngsten sozialpsychologischen Entwicklungen weithin abhängig von den heutigen Formen der technischen Produktion. Es gehört zu den verhängnisvollsten Aspekten der wissenschaftlichen Arbeitsteilung, von der ich bereits sprach, daß diese Zusammenhänge bis heute noch nicht zureichend analysiert worden sind. Insbesondere fehlen gesellschaftliche Studien der technischen Produktionsvorgänge selbst, also der Art und Weise, in der gesellschaftliche, zumal wirtschaftliche Motivationen in die konkrete Gestalt der technischen Operationen eingehen. Wir Soziologen verstehen zu wenig von der Technik und Ihnen, den Technikern, erlaubt die Forderung des Tages selten, auf solche Dinge zu reflektieren.
    Vielleicht kann ich, als ein technischer Laie, meine Antwort auf die Frage nach der Autonomie der Technik am ehesten am Bereich der Musik erläutern, die mir näher liegt. Sieht man sich die Werke aufeinanderfolgender bedeutender Komponisten an, so wird man immer wieder finden, daß Probleme, die bei dem einen ungelöst oder vernachlässigt bleiben, von dem darauf Folgenden aufgegriffen und gelöst werden. Die Geschichte der Musik ist, wie vor allem Max Weber dargetan hat, eine Geschichte fortschreitender Rationalisierung, also fortschreitender Beherrschung des Materials, wenn Sie wollen, der Natur. Im Sinne dieser Tendenz stellt die Musik durchaus ein autonomes in sich geschlossenes Bereich dar. Wer komponiert, der weiß, wie wenig er selbst, oder gar äußere Instanzen, eigentlich über das zu Komponierende vermögen, wie sehr er sich dabei zu bescheiden hat, die Schwierigkeiten, vor die sein Material ihn stellt, zu bewältigen. Betrachtet man aber die Geschichte der Musik oder auch die Arbeit des einzelnen Komponisten gewissermaßen von außen, so enthüllt sie trotz dieser Autonomie ihren gesellschaftlichen Aspekt. Ihre fortschreitende Rationalisierung erscheint als sublimierte Manifestation der der Arbeitsprozesse, die seit der Manufakturperiode wachsend stets sich durchgesetzt hat. Die Werke der einzelnen Komponisten, wie streng sie auch um technische Lösungen sich bemühen, atmen den Geist der Gesellschaft ihrer Epoche – wer könnte bei Beethoven den Gedanken an das revolutionäre Bürgertum unterdrücken, bei Wagner den an den expansiven Imperialismus, bei Strauss den an den Spätliberalismus mit seinem musealen Verhältnis zu den sogenannten Kulturgütern. Die Übergänge von einem Stil zum anderen sind zugleich solche der sozialen Struktur. Natürlich sind in der Technik die ihr immanenten Gesetze eindeutiger und verbindlicher als in der Musik oder irgendeiner Kunst, und das Analogon hat daran seine Grenze. Aber ich glaube doch, daß auch die technologischen Notwendigkeiten, wie streng sie sein mögen, immer zugleich Erscheinungsweisen von gesellschaftlichen darstellen, etwa so wie die Leibnizische Monade das Ganze ›repräsentiert‹.
    Daß Technik und Gesellschaft zugleich identisch und wie durch einen Abgrund voneinander geschieden sind, bezeugt einen in letzter Instanz selbst irrationalen, planlosen und anarchischen gesellschaftlichen Zustand. In einer ihrer selbst mächtigen und wirklich rationalen Gesellschaft könnte die Technik ihres gesellschaftlichen Wesens inne werden und die Gesellschaft der Verflochtenheit ihrer sogenannten Kultur mit den technischen Errungenschaften. Die Konzeption einer der Technik entrückten Geisteskultur entspringt selber nur dem Nichtwissen der Gesellschaft von ihrem eigenen Wesen. Alles Geistige hat technische Elemente; nur wer den Geist bloß als Betrachter, als Konsument kennt, läßt sich vorspiegeln, die geistigen Produkte wären vom Himmel gefallen. Darum soll man bei der starren Antithese von Humanismus und Technik nicht stehen bleiben.

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