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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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in die angebliche Ähnlichkeit seiner Lehre mit den Allongeperücken und vernachlässigt darüber die Stellung des Gedankens zur Objektivität. Schon in der Kunst betrügt der Begriff des Stils meist über den immanenten Zwang der Sache; in der Philosophie aber kann zwar der sprachliche Stil eines Schriftstellers verraten, was es mit der Wahrheit seiner Lehre auf sich hat, nicht aber sein Denkstil, der vorweg die Wahrheit aufs subjektive Moment des Denkens herunterbringt. Aufgabe der Philosophie ist es, nicht einen Standpunkt einzunehmen, sondern die Standpunkte zu liquidieren.
    9. Zur Standpunktphilosophie gehört das Moment des Ausschließenden. Es steigert sich mit dem Bewußtsein der Zufälligkeit des je eigenen Standpunktes. Dies ist mein Standpunkt, das heißt immer auch: den anderen kann ich nicht tolerieren. Der Geist, der an die eigene Willkür und Zufälligkeit sich zu verlieren fürchtet, spreizt eben darum zur Totalität sich auf. Das greift das Verhältnis zur Philosophie an: der Gedanke, der reich und fruchtbar ist nach dem Maße, in dem er die Kräfte des Widersprechenden in sich selbst aufnimmt, verkümmert zur dürftigen Alternative des Für oder Gegen. Gespannt warten manche Studenten darauf, welche Partei nun der Dozent nimmt, geraten in Bewegung, wenn sie ein affirmatives oder polemisches Wort hören, und ziehen die Position der Reflexion vor. Äußerste Vorsicht ist geraten gegenüber jeglicher Verfälschung der philosophischen Nuance, in der meist das Wichtigste, die spezifische Differenz, sich versteckt. Das überwertige Bedürfnis des Mitschreibens etwa reduziert das Vorgetragene auf Thesen und läßt als schmückendes Beiwerk das weg, worin der Gedanke eigentlich lebt, wofern nicht gar Rancune gegen Überlegungen sich regt, welche die These versagen oder aufheben. Dialektik als Philosophenschule, das soll noch erlaubt sein, aber Denken, das im freien Vollzug tatsächlich dialektisch verfährt, wirkt als Irritation, zuweilen schlicht als erschwerend bei der Vorbereitung zum Examen. Aber gerade die Vereidigung auf die These; die Erwartung, daß einem nun bündig gesagt werde, was man zu denken und womöglich zu tun habe, ist das eigentlich Unphilosophische, ja das Geistfeindliche schlechthin. Denn Philosophie beruhigt sich bei keinem Heteronomen. Sie besteht auf der Vermittlung durch den denkenden Geist und akzeptiert nichts als fertiges Resultat. Die fatalste Schwierigkeit, die heute dem Philosophierenden sich entgegenstellt, wird damit umschrieben. Gesellschaftlich vorgezeichnete Veränderungen, die bis in die Anthropologie hinabreichen, erschüttern die Idee der Autonomie in den Menschen selbst; zu schwach, um überhaupt noch Ich zu sein, zu gewitzigt durch die Nachteile der von einem starken Ichbewußtsein Gehinderten, hungrig nach den Prämien, auf die ein schwaches Ich hoffen darf, sind Ungezählte bereit, das Beste zu vergessen, das sie erst zu Subjekten macht, und dem sich zu überantworten, was sich selbst mit Stolz als Ideologie einbekennt. Philosophie ist davor nicht sicher, mag immer ihr Programm aufs Gegenteil hinauslaufen. Stets noch sehen sie viele Arglose als das, wozu man sie in der Zeit der äußersten Erniedrigung degradierte, als Schulungskurs. Denen, die mehr suchen in ihr als Methode und Wissenschaftslogik, bietet sie sich als Religionsersatz an. Keinem der Unschlüssigen, denen eine Epoche keinen Führer mehr gewährt, die gezeigt hat, was es mit den Führern auf sich hat, ist ein Vorwurf aus Not und Bedürfnis ihres Geistes zu machen. Aber wer es mit der Philosophie versucht, muß endlich der autoritären Illusion sich entschlagen, die heute wie die Welt so auch die Gedanken verdunkelt.
     
    1955
     
     
Aktualität der Erwachsenenbildung
Zum Deutschen Volkshochschultag
Frankfurt am Main, 1956
    Früher nannte man, was heute Erwachsenenbildung heißt, Volksbildung, und das Wort hatte einen herablassenden Klang, etwa wie die populären Konzerte der großen Sinfonieorchester. Man stellte sich Bildung für die Ungebildeten darunter vor. Diese Einschätzung wurde von der wahrscheinlich damals bereits fragwürdigen Vorstellung eines festen Bildungsgefüges getragen, dessen Monopol die Höheren Schulen und die Universitäten hüteten. Es galt als von vornherein dem verschlossen, der nicht aus jenen Institutionen kam. Was dann für die Volksbildung übrig blieb, bestand oft aus Gleichgültigem und Peripherem, hatte den Charakter des Tropfens auf den heißen Stein. Das

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