Gesammelte Werke
Erwerbszweig in einem der Kultur nach schon weit fortgeschrittenen gemeinen Wesen: wo die Leserei zum beinahe unentbehrlichen und allgemeinen Bedürfnis geworden ist. – Dieser Teil der Industrie in einem Lande aber gewinnt dadurch ungemein: wenn jene fabrikmäßig getrieben wird; welches aber nicht anders als durch einen den Geschmack des Publikums und die Geschicklichkeit jedes dabei anzustellenden Fabrikanten zu beurteilen und zu bezahlen vermögender Verleger geschehen kann. – Dieser bedarf aber zur Belebung seiner Verlagshandlung eben nicht den inneren Gehalt und Wert der von ihm verlegten Ware in Betracht zu ziehen: wohl aber den Markt, worauf, und die Liebhaberei des Tages, wozu die allenfalls ephemerischen Produkte der Buchdruckerpresse in lebhaften Umlauf gebracht und, wenngleich nicht dauerhaften, doch geschwinden Abgang finden können.«
6. Seit nun bald 200 Jahren hat die große Philosophie das Diktat der verbalen Definitionen gebrochen, die, säkularisiertes scholastisches Erbe, noch die rationalistische Metaphysik beherrschten. Kritisches Philosophieren heißt wesentlich: nicht aus bloßen Begriffen schließen, sondern die tragenden Beziehungen zwischen Begriffen und dem durchdenken, worauf sie gehen. Die Kantische Kritik des ontologischen Gottesbeweises bezeichnet den Durchbruch dieser Intention in der deutschen Philosophie, und Hegel, in dem so viele Kantische Motive zu sich selbst kommen, hat im dritten Teil der Logik das definitorische Verfahren seiner Äußerlichkeit überführt (WW ed. Glockner, 5. Bd. S. 289ff., bes. S. 293). Die gängige Wissenschaftslogik hat daran vergessen: seit der verhängnisvollen Abspaltung der Einzelwissenschaften von der Philosophie ist in jenen der Glaube an Definitionen auferstanden und wird mit der Forderung nach Strenge und Lauterkeit verwechselt. Daher trägt denn der einzelwissenschaftlich Geschulte an die Philosophie vielfach ein Bedürfnis nach Definitionen heran, wie sie etwa vor 300 Jahren am Anfang von Spinozas Ethik standen, und ist enttäuscht, wenn sie ihm versagt werden. Ihn bestärken darin Tendenzen des zeitgenössischen Positivismus, welche die wissenschaftliche Verfahrungsweise ungebrochen auf die Philosophie übertragen, während gerade das Verhältnis von Wissenschaft und Philosophie Selbstbesinnung erheischt. Definitionen sind nicht umsonst in ›Sachgebieten‹ zu Hause. Sie beziehen sich allemal auf ein bereits Konstituiertes, auf den verdinglichten Abguß der lebendig vollzogenen Einsicht, während es an der Philosophie ist, eben den Spielregeln verdinglichten Bewußtseins nicht zu folgen, sondern die geronnenen begrifflichen Formen aufs neue in Fluß zu bringen. Daß das nicht improvisatorische Willkür sanktioniert, vielmehr eine geistige Freiheit meint, welche die Begriffe festhält, ohne sich doch auf sie festnageln zu lassen, ist wohl am schwersten zu lernen: die Einheit von Strenge und Phantasie. Oberste Tugend der Philosophie ist intellektuelle Zivilcourage. Nie darf sie bei einem bereits Etablierten, wie es in den Definitionen sich niederschlägt, Deckung suchen. Der Verzicht darauf mag am Ende sogar mit Definitionen belohnt werden. Aber erst die entfaltete Philosophie bewegt sich der Lehre zu.
7. Die Forderung, etwas vorzugeben und Geduld zu haben, ist nicht bloß für den der Philosophie noch Fremden eine Zumutung, sondern hat in der Tat auch ihren fragwürdigen Aspekt. Sie kann dazu verleiten, die Philosophie selber als Spezialwissenschaft, als Branche zu betreiben und, durch Anerkennung ihres Sonderwesens, des kritischen Impulses, der eigenen Unbeirrtheit und Autonomie sich zu entäußern. Hält man sich einem Denkgebilde von der fast unwiderstehlichen Gewalt Hegels gegenüber wirklich daran, daß das Ganze das Wahre sei, und drängt man, um des Ganzen sich zu versichern, die ungezählten Einwände zurück, denen alles Einzelne darin sich aussetzt, so identifiziert man allzu leicht, sobald das Ganze einmal gegenwärtig ist, die Freude darüber mit der Wahrheit. Hegel stellt zunächst vor die Wahl zwischen Selbstpreisgabe und Unverständnis. Mit solchen Aporien fertig zu werden, bedarf es der Geistesgegenwart: man muß ans Ganze und an den Augenblick, an die Präzision der Aussage und ihren Stellenwert in der Konstruktion zugleich denken – ja man muß stets zugleich in der Sache, als ein ihr Hingegebener, und außerhalb der Sache, als ein kritisch Distanzierter sein. In diese Maxime läßt sich vielleicht die schockierende
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