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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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dessen Schreibmaschinendurchschlag sich erhielt. Aus ihm möchte ich einige Passagen zitieren, die gewiß der wahren und verantwortlichen Kenntnis entraten, gleichwohl indessen etwas von jenem Zum ersten Mal bewahren, das zuweilen über die Geschichte einer Beziehung entscheidet. Wir waren eingeladen bei Paul und Hannah Tillich, zusammen mit Kurt Goldstein und dessen zweiter Frau, und ich wußte das folgende zu sagen:
    »Der antinomistische Maggid war zunächst sehr zurückhaltend und sah in mir offenbar eine Art von gefährlichem Erzverführer; ich hatte das seltsame Gefühl, mit Brecht mich identifiziert zu finden. Überflüssig zu sagen, daß von all dem kein Wort fiel, und daß Scholem mit viel schnoddriger Grazie die Fiktion aufrecht erhielt, von mir sozusagen nicht mehr zu wissen, als daß ein Buch von mir im Verlag des seligen Siebeck erschienen ist. Irgendwie ist es mir dann aber gelungen, den spell zu brechen, und er faßte eine Art Zutrauen zu mir, das nach meinem Eindruck anwächst. Wir haben zwei Abende mit einander gehabt, wie Sie vermutlich am Klingen Ihrer Ohren mittlerweile verifiziert haben werden; den einen allein, mit einem Gespräch, das einesteils sich auf unser letztes in San Remo über Theologie bezog, andernteils auf meinen Husserl, den Scholem sehr genau las wie eine Art von intelligence test« (wohlverstanden, ich meinte einen meiner Intelligenz). »Den zweiten Abend verbrachten wir mit Max Horkheimer, und Scholem, in sehr großer Form, berichtete uns zusammenhängend von der sabbatianischen und frankistischen Mystik die erstaunlichsten Dinge .... Nicht leicht für mich, meinen eigenen Eindruck von Scholem wiederzugeben. Es ergibt sich ein Schulfall des Konflikts von Pflicht und Neigung. Meine Neigung ist aufs stärkste dort im Spiel, wo er sich zum Anwalt des theologischen Motivs Ihrer, und vielleicht darf ich auch sagen meiner, Philosophie macht, und es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß eine Reihe seiner Argumente gegen die Aufgabe des theologischen Motivs, wie vor allem jenes, daß es in Wahrheit durch die Methode bei Ihnen so wenig wie bei mir eliminiert sei, mit meinen San Remeser Exkursen übereinkommt; vom Stein der Weisen und des Anstoßes in Dänemark« (ich spielte auf den Einfluß von Brecht auf Benjamin an) »ganz zu schweigen. Sogleich aber tritt die Pflicht in Aktion, und zwingt mich zuzugestehen, daß Ihr Gleichnis vom Löschblatt und Ihre Intention, die Kraft der theologischen Erfahrung anonym in der Profanität mobil zu machen, mir doch vor den Scholemschen Rettungen alle entscheidende Beweiskraft voraus zu haben scheint, und so habe ich mich denn auf der zwischen uns in San Remo festgestellten Generallinie gehalten, will sagen, ihm zwar das Moment des ›Fremdkörpers‹ zugestanden, das Eindringen des Fremdkörpers jedoch als Notwendigkeit verteidigt. Daran ist nun zum Teil mitschuld die Gestalt, welche die Theologie bei Scholem selber angenommen hat. Einmal ist ihre Rettung sonderbar gradlinig und romantisch: wenn er etwa den Gegensatz von ›Gehalten‹ und deren Genesis in den Vordergrund stellt und dem Marxismus Vorwürfe macht, er käme nur an die letztere, nicht aber an die Gehalte selber heran, so fühle ich mich an Kracauer oder auch Theodor Haecker erinnert. Sieht man sich dann aber die Dinge an, die er selber präsentiert – und ich jedenfalls vermöchte nicht die Gehalte seiner Mystik von ihrem geschichtlichen Schicksal zu trennen, so wie er selber es erzählt –, so scheint es deren wesentlichste Eigentümlichkeit zu sein, daß sie ›explodieren‹. Gerade er insistiert auf einer Art von radioaktivem Zerfall, der von der Mystik, und zwar fensterlos in allen ihren historischen Ausprägungen gleichermaßen, zur Aufklärung treibe. Es scheint mir von der tiefsinnigsten Ironie, daß die Konzeption der Mystik, die er urgiert, sich geschichtsphilosophisch als eben jene Einwanderung in die Profanität darstellt, die er an uns für verderblich hält. Wenn nicht seine Gedanken, dann sind jedenfalls seine Erzählungen eine strikte Rechtfertigung genau der Alterationen Ihres Denkens, an denen er sich stößt. Die geistige Leidenschaft und Kraft ist ungeheuer, und er gehört ohne Frage zu den ganz wenigen Menschen, mit denen über ernsthafte Dinge zu reden sich überhaupt noch verlohnt. Seltsam nur, wie manchmal seine Kraft für bestimmte Strecken aussetzt, und das Vorurteil und die banale Anschauung unangefochten frei gibt. Das gilt etwa auch für seine Art der

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