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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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sich der Konkretion zu versichern, die er danach wieder bestreitet, offenbar weil nunmehr die greifbare Farbe abgekratzt ist. Eigengesetzlich bleibt, wenn schon nicht der Bild-, wenigstens ein, vielleicht journalistisch entstandener Satzbau.
    Dabei wäre es kein Kunststück, einigermaßen klar zu sagen, was hätte gesagt sein sollen und vielleicht auch vom Frager gemeint war. Nämlich: daß der Begriff des Abstrakten in der ästhetischen Sprache mehrdeutig gebraucht wird. Daß ein Kunstwerk schlecht abstrakt ist, wenn es nicht bei sich selber zur einmaligen und verbindlichen Gestalt gedieh; daß abstrakte Gegenstände nicht mit abstrakter Gestaltung zusammenfallen; daß die Tendenzen, die seit Kandinsky unter dem Namen der abstrakten Malerei zusammengefaßt werden, abstrakt nur insoweit sind, als sie von vorgegebenen Gegenständen absehen; als künstlerische Gestaltungen aber dem gleichen Maßstab der ›Konkretion‹ unterliegen wie jede Kunst. All das hat der Frager unter Zuhilfenahme eines verblasenen Zeit-und Lebensbegriffs vernebelt, anstatt zu klären. Man brauchte kein Wort darüber zu verlieren, hätte die Sache nicht ihre kunstpolitische Seite. Gerade die ernsthaften Repräsentanten der neuen Kunst sind es gewohnt, mit Phrasen wie der vom ›Abstrakten‹ von Dummköpfen und Reaktionären aller Art gescholten zu werden. Es ist darum im Interesse der Künstler, daß den Reaktionären die Phrasen demoliert und die Tatsachen ausgesagt werden. Nimmt aber eine verschwommene Apologie die Phrasen der Reaktion auf, dann setzt sie sich ins Unrecht und jene ins Recht: ihre Sache erscheint dann so schlecht wie die Feinde sie sich vorstellen. Es wäre darum sehr zu befürworten, daß die radikalen Frager ihre Eigengesetzlichkeit besser kontrollierten. Jedenfalls sollten sie erst einmal »das Äußerste an Erreichbarem des Könnens ihrer Zeit« sich anzueignen bereit sein.
     
    1932
     
     

Auf die Frage: Mögen Sie Picasso
     
    Die Frage »Mögen Sie Picasso?« mit ja zu beantworten, wäre viel zu wenig. Künstlern des obersten Ranges gegenüber kommt es nicht auf die Zufälligkeit des Geschmacksurteils an, das freilich als ein Element in die Erfahrung eingeht, sondern auf Erkenntnis, die der Sache gerecht wird, ihr standzuhalten vermag. Seitdem ich meines Verhältnisses zur bildenden Kunst mir bewußt bin, hat Picasso darin eine zentrale Rolle gespielt. Ich vermöchte nicht zu unterscheiden zwischen dem Zauber und dem Schock, den die wildbemalten und strenggefügten Konstruktionen auf mich ausübten, als ich zum erstenmal auf Abbildungen stieß, und der Einsicht in die Notwendigkeit dieses œuvres, das dem Zwang der innermalerischen Entwicklung ebenso gehorcht wie dem der geschichtlichen Katastrophe. Bedeuten mir dabei die Bilder aus der Phase des analytischen Kubismus und dann die lädierten Figuren aus den vierziger Jahren am meisten, so ist das aus der Zufälligkeit des Blickes eines Musikers zu erklären; auch daß mir die neoklassizistische Phase am fernsten steht, wird man dem zugute halten müssen, der erleben mußte, welches Unheil die Übertragung jenes Stils auf sein eigenes Bereich anrichtete; doch ist die Analogie zwischen Strawinsky und Picasso wohl sehr oberflächlich.
    Daß dessen Kunst dauere, wenn überhaupt Kunstwerke noch eine Chance dazu haben, ist selbstverständlich; unvergeßlich bleibt mir der Fachmann, der um 1920 Picasso einen Schwindler nannte und Thoma für einen Maler hielt. Doch hat Picasso, in gewissen Versuchen seiner Spätzeit, den Begriff der Dauer des Werkes selbst herausgefordert mit optischen Improvisationen, die mit ihrem Augenblick vergehen wie nur musikalische Improvisationen. Er hat in sein Werk noch die Erschütterung hineingenommen, die der Idee überdauernder Kunst selbst widerfuhr. Das hängt zusammen mit dem permanenten Skandalon, das er bereitet, dem Wechsel der Masken, der die Apostel der Eigentlichkeit zur Wut aufreizt. Aber die Masken, in denen die Krisis der Subjektivität sich ausdrückt, sind wahrer als die Lüge der kernigen Wahrheit. Unter den Leistungen Picassos wiegt schwer, daß er, rein durch den Gehalt seiner Kunst, ohne alles reflektierende Wort, den Existentialismus desavouierte und das tautologische Leitbild zerstörte, einer sei dann schon etwas, wenn er nichts ist als er selbst. Persönlichkeit wird zur Negation von Persönlichkeit. Auch um die Einheit seiner Kunst und seiner Politik schert er sich nicht. So verhält sich kein Totaler, und eine Taube

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