Gesammelte Werke
muß man schon selbst lesen, übrigens ohne Illusion, es würden nur die anderen getroffen und man selber sei ohne Fehl. Ohne Respekt vor dem, was die Sprache der verwalteten Welt vermutlich mit höchster Ebene des Geistes bezeichnete, sucht Korn seine Beispiele sich auch bei berühmten Soziologen, bei Philosophen wie Lukács und Heidegger, bei dem der Widerspruch zwischen seinem Haß gegen das verdinglichende Subjekt-Objekt-Denken und seiner Teilhabe an der Sprache der verwalteten Welt besonders eklatant ist: in »Sein und Zeit« steht »daseinsmäßig«. Zu den originellsten Funden Korns aber gehört, was er die Sprache des Angebers nennt. Er definiert: »Unter Angabe versteht man heute allgemein eine Aktivität und Haltung, die sich und die eigene Leistung, das eigene Prestige und Gewicht mit Erfolg zur Schau stellt« (52), und erläutert das: »Angabe ist das, was der kleine Mann aus der Rolle der Werbung im wirtschaftlichen Leben lernen zu sollen glaubt« (53). Identifikation also, aber eine vorweg hoffnungslose. Damit rückt Korns Darstellung ihrem Gegenstand beängstigend nah: »Typisch sind Wortwitze wie ›in keinster Weise‹ oder ›bei allem Frivolwollen‹. Der sie zuerst gebrauchte, besaß einen gewissen Sprachwitz. Die Wiederholung macht die Wendungen zur armseligen Schablone. Eine gewisse Kleinbürgeridyllik, die sich mit großer Welt grotesk verbindet, kann sich im Angeberjargon nicht verleugnen« (57). Nur eben angemerkt sei, daß es in diesem Kapitel an Belegen für Ausdrücke von jüdischem Kolorit nicht fehlt: die Geister der Ermordeten gehen um in der Sprache, die den Mord befahl, und in der einmal »Über allen Gipfeln ist Ruh'« geschrieben ward.
Nicht weniger Bestürzendes steht im folgenden Kapitel, mit dem unschuldig klingenden Titel »Die Sprache der Domestikation«. Gemeint sind damit die Spuren, die der brutal übermächtige Anpassungsprozeß in der Sprache derer hinterließ, die der vorwaltenden Tendenz sich gleichmachen müssen; Male der sich ausbreitenden Unfreiheit, mit jener Ambivalenz zwischen eifrigem Mitmachen und hämischem Blinzeln, die einem Prozeß entspricht, der vom Innern der Menschen zugeeignet wird und von dem ihr Inneres doch spürt, daß er ihnen Gewalt antut. »Die Wendung ›auf Draht‹ wird so lange vorhalten, als es eine allgemeine Prosperität gibt, die jedem einzelnen die Illusion läßt, er könne dem Massenschicksal durch Information entgehen« (78). Oder: »Aus der Bemerkung, einer habe nicht richtig gelegen, ist die Schadenfreude der Subalternität herauszuhören, die sich dafür rächt, daß sie sich eine eigene Meinung nicht leisten kann« (79). Mit Gusto rückt Korn dem Kulturgeschwätz zu Leibe: »Am scheußlichsten ist kulturvoll, weil man Kultur nicht füllen kann. Die so sprechen, verraten, daß sie mit den verfügbaren Worten kultiviert oder gebildet die Kultur längst über Bord geworfen haben« (82f.). Daß Korn soziologische Mißbildungen, etwa Vokabeln aus der Sprache der Domestikation wie »Beziehung«, aus dem Konkurrenzmechanismus erklärt, während dieser in der Epoche, in der jene Vokabeln triumphieren, schon nicht mehr entscheidet, verschlägt wenig. Denn vielfach sind die Sigel der verwalteten Welt erstarrte Endprodukte der liberalen. Was gesellschaftlich in der Rede von Beziehungen sich ankündigt, ist wahrscheinlich eher, daß in der jüngsten Phase der Markt gerade nicht mehr das Schicksal der Menschen bestimmt, sondern unmittelbare Machtkonstellationen. Darum werden die alten Vermittlungsuntugenden in ganz verändertem Sinn Bedingungen der Selbsterhaltung: man glaubt raschestens, ohne objektiven Maßstab, gewissermaßen als Person, mit Leib und Seele bei den Mächten sich empfehlen zu müssen. Nichts vielleicht bezeugt besser die Legitimität von Korns Sprachkritik, als daß er solche gesellschaftlichen Nuancen genau dort trifft, wo er nicht auf Gesellschaft reflektiert, sondern einfach seinen Innervationen sich überläßt. So heißt es sehr exakt: »Beziehungen – so meint es das neue Wort – sollen einem Interessenten dazu verhelfen, die erdrückende, anonyme, nicht faßbare und unzugängliche Apparatur der normalen Instanzen zu überspringen.« Und kurz danach, in einer Formulierung, die genau die so charakteristische Liquidation selbständiger gesellschaftlicher Zwischeninstanzen benennt: »Durch die Beziehung sucht man die Kette kürzer zu machen, Zwischenglieder auszulassen, an jene Stelle in der Apparatur heranzukommen, wo
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