Gesammelte Werke
ergangen, er habe Sonne im Herzen zu haben, da erfährt er, daß es damit doch nichts Rechtes ist, weil nämlich, wer nie sein Brot mit Tränen aß, die himmlischen Mächte nicht kenne, denen am Ende auch jene Sonne zugezählt werden muß, die ihm vorher ins Herz fiel. Auch kann es ihm passieren, daß er den Nietzsche mit dem »Hungerpastor« verwechselt u.a. – abgesehen davon, daß er nicht weiß, ob er es mit der oder dem Huch zu tun hat und welchem Keyserling er sich anvertrauen soll, dem indienfahrenden oder dem mehr autochthonen. Freilich wird man ihm ernüchternd sagen, das sei gar nicht so, die alphabetische Anordnung habe nur der Zufall verschuldet, die Gedanken jener Großen seien dem Sinne nach verteilt, vielleicht sogar historisch aufgereiht, so daß man zu dem Waschzettel eine kurzgefaßte deutsche Literaturgeschichte von Goethe bis Lienhard dazubekomme. Aber das ist es ja gerade! daß ein solcher Zufall möglich ist! daß man der Macht des Alphabets das Recht zumißt, die vollendete Wahllosigkeit blank zu systematisieren! Und schließlich:
Was soll man mit einem Alphabet anfangen, das es erlaubt, Beethoven mit Bonsels, Flaischlen aber mit Goethe zu verkoppeln? Möchte man nicht Analphabet werden, ihm zu entgehen?
1925
Notiz über Namen
»Name ist Schall und Rauch.« Aber ist das nicht sehr viel? Ist nicht in die Figuren von Schall und Rauch eingezeichnet, was vergänglich der dichten Körperwelt entweicht und als deren kaum lesbare Chiffre in flüchtiger Spur durch die Luft entschwebt? Sind nicht Namen, ob auch zufällig nach dem Maße dessen, was jeweils benannt wird, nach anderem Maße wie Schrift ihm einbeschrieben? Dialekt und Folklore bewahren das Gedächtnis daran. In den »Pionieren« der Fleißer sagt die eine Dienstmagd auf die Frage, wie sie heiße: »Eine Berta bin ich worden«; als wären die Dienstmädchen im dichten Teich der Vorzeit, daraus der Storch sie ausgewachsen und angezogen nach Ingolstadt bringt, eingeteilt durch Namen, die ihnen als Zettel angeklebt sind und über ihren Weg entscheiden. Wohl reißt der Storch den Zettel ab; allein noch im wachen Leben erinnerte sie sich der prähistorischen Ordnung. Allen Bertas weiß sie sich verschwistert; das Gespräch mit dem Liebhaber geht dann nicht über dessen frühere Freundinnen schlechthin, sondern darum, ob sie seine erste Berta sei, die erste aus dem Reiche der Bertas; ist sie's, mag er andersnamige gehabt haben, soviel ihm beliebte. Nicht anders waren die Proletarier in große gerade Reihen von Georg, Willy, Fritz und Franz eingeteilt, die das Schema späterer Verlustlisten in sich enthielten. Minder zufällig für den einzelnen und daher minder notwendig fürs Kollektiv sind die Namen in den herrschenden Schichten. Aber auch sie entweichen dem Zwang der Namen nicht. Denn ihre Angehörigen sind im Laufe ihres entwickelten individuellen Lebens derart mit ihren Namen verwachsen, daß es keiner Macht der Welt mehr gelingen könnte, sie von den Namen loszureißen. Schriftsteller, die sich die Darstellung jener Schichten zur Aufgabe gesetzt haben, können daran lernen, wie wenig Phantasie einer Fähigkeit des Erfindens gleichkommt. Arbeiten sie nach Modellen und suchen sie denen Namen zu erfinden, die ihr Wesen oder selbst nur ihre gesellschaftliche Lage genauer ausdrücken als die, welche die Modelle in Wirklichkeit tragen, so müssen sie rasch einsehen, daß kein Name an Evidenz je den erreicht, den das Modell trägt; entweder es auflöst in die abstrakte Einheit seiner Klasse oder einer privaten Zufälligkeit überantwortet, die gerade die Darstellung bannen wollte. Leicht könnte man vermuten, daß so jeder erfundene Zug nicht an ›Treue‹, wohl aber damit hinter dem Wirklichen zurückbleibe, daß er die Versenkung der Intentionen in den Stoff der Wirklichkeit minder tief erfaßt: Rettung des Realismus nicht nach dem Kriterium der auswendigen Realität, sondern der Stimmigkeit des Gebildes in sich, das der Bedeutungen nur in der unvermittelten Konkretheit der Stoffe habhaft wird. So jedenfalls ließe sich das leidenschaftliche Bemühen verstehen, das Proust an die Namen seiner Figuren wandte, indem er sie bald dem Klang der Modellnamen gänzlich annäherte, bald skurril, scheinbar sinnlos davon losriß. Er hat nicht die Charaktere der Personen durch Namen symbolisieren wollen, sondern die Aura erretten, die die wirklichen Namen umgab und die oft genug über den Personen herrschte; das mochte ihm zuweilen im
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