Gesammelte Werke
Ausdruck, der geschichtlich ihnen zuwuchs, und auf ihren Stellenwert in der sprachlichen Konstellation. Zur Physiognomik solchen Ausdrucks trägt Korns Buch Unschätzbares bei.
Sprache in der verwalteten Welt: das ist nicht länger, was die von Kraus demaskierte wesentlich noch war, das ebenso prompte wie verwahrloste Geschwätz des Vermittlers und seiner Kumpane im Betrieb der öffentlichen Meinung. Sondern der Unterschied von Unmittelbarkeit und Vermittlung, von der Rede der Menschen und dem Jargon des Betriebs, ist liquidiert; falsche Einheit von Subjekt und Objekt erreicht. Hohngelächter auf die reale Versöhnung, die versäumt ward. Leicht, frei und freudig sprechen die Menschen, wie sie glauben, daß die übermächtigen Institutionen sprächen, um sich diesen, Gott und den Menschen angenehm zu machen; und die Institutionen selber wiederum tun es den Menschen gleich, deren jeder zum Sprachorgan seiner selbst als einer eigenen Kleinstinstitution geworden ist. Hat Karl Kraus gelegentlich diejenigen aufgespießt, die sich wichtig machen, indem sie persönlich wie Zeitungen tönen, so wurde das mittlerweile sozialisiert: così fan tutti. Ich habe einmal auf der Straße erlebt, daß eine leibhaftige Frau zu einem leibhaftigen Mann »Auf Wiederhören« sagte, und kein Blitz aus dem Himmel hat das Monstrum getroffen. Das ist die metaphysische Situation von Korns Buch. Ihr Entsetzen zu bannen, fehlen die Worte selber; das rechtfertigt die Gelassenheit, die Korn, nicht ohne strategische Klugheit, sich wahrte.
Die Sprache der verwalteten Welt ist aber auch nicht zu verwechseln mit der Verwaltungssprache alten Stils, wie sie heute rührend noch in Kanzleien fortwest. Diese hat der lebendig gesprochenen Sprache gerade durch ihren feindseligen Gegensatz zu ihr wider Willen Ehre angetan: in der Distanz von dem Aktendeutsch, das zu reden keinem Menschen einfiele, wird das Menschliche einigermaßen unberührt erhalten. Damit ist es vorbei. Die Distanz wird eingezogen. Der Jargon der verwalteten Welt kennt Züge der Verwaltungssprache neben zahlreichen anderen, Residuen aus dem Kommiß, dem Dritten Reich, der Schnoddrigkeit von Halbwüchsigen und der Zungenfertigkeit von Vertretern, aber all das ist eingeschmolzen in einen präparierten Wismutbrei, der den Menschen aus dem Mund rinnt, metallen und konturlos. Nicht länger greift, was sie, wenn überhaupt noch irgend etwas, ausdrücken wollen, und die Sprache ineinander; dennoch aber ist diese geläufig, als wäre es ihre eigene Stimme. Das Auswendige wird zum Inwendigen, ohne doch verinnerlicht zu sein, durch einen bloßen Prozeß der Anpassung an die Macht, der die Ohnmächtigen dazu nötigt, als ihre Delegierten sich zu gerieren.
Von den historischen Ursprüngen solcher Sprache dürfte Korn einen der erstaunlichsten entdeckt haben. Bestätigt findet sich der Satz, daß, sobald etwas planend für die Kultur geschieht, es dieser erst recht zum Unheil anschlägt. Der Deutsche Sprachverein, an den man sich vorweg um seiner Fremdwörter-Razzien willen erinnert, hat sich auch, wie man das so nennt, ums Positive bemüht und im Jahre 1890 Verdeutschungsvorschläge gemacht. Unter den Wörtern der gewiß wohlgemeinten Liste, die Korn wiedergibt, kommen nun zahlreiche vor, die erst im Schatz der verwalteten Welt ihre wahre Physiognomie entblößten. So etwa das grauslige Suffix »-mäßig«, das es erlaubt, aus jedem Substantiv ein Adjektiv zu machen und dadurch den Unterschied von Substanz und Qualität, auf den die nichtreglementierte Sprache sich besann, plattzuwalzen. Der Sprachverein empfahl schon ordnungsmäßig, würdemäßig, vertragsmäßig und listenmäßig. Auch Ausdrücke wie Großgewerbe begegnen da; ebenso die heute nicht länger nur von den sensibelsten Ohren bemängelte Umschreibung verbaler Inhalte durch substantivische Konstruktionen, wie »eine Kundgebung veranstalten« an Stelle von demonstrieren. Man kann da einen kleinen Kursus in Dialektik nehmen: der Versuch, die Sprache von Fremdwörtern, dinghaften Einschiebseln zu befreien, führt dazu, daß die deutschen Stämme, welche jene ersetzen, dabei selber von der Totenstarre befallen werden, von der sie kurieren sollen, bis dann schließlich die Quantität in die Qualität umschlägt und die ganze Sprache ordnungsmäßig wird.
Unmöglich, von der Fülle nicht bloß der Beispiele, sondern vor allem der sprachtheoretischen Kategorien in Korns Buch in einer kurzen Anzeige eine zureichende Vorstellung zu geben. Das
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