Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
Vom Netzwerk:
Manieren und sie bringt es zur Synthese: »Der Typus des
Fliegers
zeigt, welch reichen
anziehenden
Menschen die Vereinigung der beiden Welten schaffen kann.« Der Urmensch und Flieger wird zum Kulturmenschen und hat nur noch die bescheidene Aufgabe, Amerikanismus und Bolschewismus zu bekämpfen, die, natürlich, auf einen Nenner gebracht werden: »Und der urtümliche Mensch lebt
selbstverständlich
im Formgehäuse, das ihm unsere Technik und Zivilisation errichtet hat. Er wehrt sich im Grunde nur, darin ein Heiligtum zu sehen. Wie das der Amerikanismus und der Bolschewismus verlangen.«
    So weit sind wir gekommen. Gedanken, um welche Nietzsche noch wahnsinnig werden mußte, sind so wohlfeil, so platt, so handlich zivilisiert geworden, daß demnächst soignierte junge Herren bei ihren Cocktail-Parties, falls sich Differenzen ergeben sollten, im Namen der Synthese von Ur und Zivilisation mit ihren Rasiermessern sich die Skalpe abschneiden werden.
    Da gibt es nur einen Trost: den der Inkonsequenz. »Der Barbar ist nicht nur roh, sondern auch bildsam. Der Rationalist ist glatt und ohne Angriffsfläche.« – Wenn aber schließlich der Ur nur aufbricht, um ein Ochs zu werden – wollen wir dann nicht lieber Menschen bleiben?
     
    1932
     
     

Zerrbild
     
    Eine der virulentesten illustrierten Zeitungen hat wieder einmal ein Preisausschreiben erlassen: da soll man, nach gesetzmäßig und bescheiden verzerrten Photographien, die Originale wiedererkennen, fünf unserer Lieblinge, die Weltmeister in Boxen, in Tenorsingen, in Herzenbrechen und in Luftschiffahren und dazwischen das Stammütterchen allen blonden Glückes, die ehrwürdige Henny Porten. Das Resultat ist sehr erfreulich; sei es, daß die Gesichter zu taktvoll verzerrt waren oder daß die Zerrbilder den Originalen ähnlicher sahen als die regulären Photos, es rieten es alle, alle; in Eisenach, in Stettin und in Friedenau, so daß unter den Glücklichen nochmals das Los entscheiden mußte, wer der Glücklichste sei; nur die verzerrte Henny wurde zuweilen mit der lächelnden Gitta Alpar – immer sitzt sie, wenn nicht in ihrem geschmackvoll eingerichteten Heim, so am Volant ihres neuen XYZ-Wagens und lächelt; wann sie nur singen mag? – verwechselt, aber das läßt sich verstehen und verschmerzen. Sonach wäre alles in der besten Ordnung, in der wir ohnehin leben, enthielte nicht die Mitteilung des Ergebnisses unserer Ferienpreisaufgabe »Wer sind die fünf vor dem Fenster?« einen Satz, der zum Einhalten zwingt, so gern man auch weitergehen möchte, um endlich den Namen Hans Albers zu lesen. Denn »an unserer
heiteren
Ferien-Preisfrage ›Wer steht vor dem Fenster?‹ haben unsere Leser wieder ihren Scharfblick und ihre Personenkenntnis bewährt«, obwohl doch die Bewährungsfrist nur kurz bemessen war. Was nun den Scharfblick anlangt, so ist der ja nicht gar so groß gewesen; um so eigener aber ist es um die Personenkenntnis bestellt. Denn wie? Ist es ein Verdienst, das seinen Lohn verdient, wenn man Physiognomien wiedererkennt, die einem von der unerbittlichen Apparatur der Prominentenreklame Tag um Tag und womöglich stündlich in die Augen gebrannt werden? Ist es nicht vielmehr eine Schande und müßte nicht der belohnt werden, dem der Ekel nicht schon in der Kehle stecken bleibt, sondern in die Augen steigt, die sich endlich weigern, vor dem Antlitz des Herrn Max Schmeling ehrfürchtig auf-und zuzuklappen? Nicht der Detektiv hat mehr Personenkenntnis, der wie in alten ehrlichen Schundromanen den Verbrecher im Gewühl der Untergrundbahn wiedererkennt, dessen Schatten er eine Sekunde lang auf der Schiffsbrücke des Ostindiendampfers gewahrte; nicht der Liebende, der das entgleitende Profil der Passantin für immer und niemals festhält; aber wenn ich, vom Wort Denteco mürbe gemacht, mir die Zähne mit Denteco putze, so freut sich darüber nicht bloß der Dentecomann, was sein gutes Recht wäre, sondern objektive, unabhängige Instanzen werden mir meine Wortkenntnis und meinen Scharfsinn bestätigen und mir eine Reise ins Dentecoland, 14 Tage erster Klasse, spendieren. Oder sollten Zweifel an ihrer Unabhängigkeit erlaubt sein? Sollten unterdessen der Dentecomann, der Herr der Illustrierten und die Prominenzen sich geeinigt haben und uns gemeinsam beherrschen, so gesetzmäßig, wie sie die Photographien verzerren, wenn es ihnen paßt, uns raten zu lassen, wer wer sei? So ist es; und nun setzen sie gemeinsam Belohnungen aus, die mit oder ohne Bewährungsfrist

Weitere Kostenlose Bücher