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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Unredlichkeit des Systems, der der gute Europäer mißtraut, als Unredlichkeit der Ahnfrau im Ausgabenbuch sich erwiese? Wenn gar, letzte, entfernteste Möglichkeit, die Herrenmoral selber auch nur eine Art höherer Sklavenmoral wäre, in der der Bedienten Louise ihr spätes, ob auch fragwürdiges Recht über den kategorischen Imperativ des Unterdrückers widerfährt? Man sollte ernsthaft erwägen, das Problem als Gegenstand einer Preisfrage zur Erörterung zu stellen.
     
    1930
     
     

»Was lieben Sie eigentlich an Ihrem Mann?«
     
    Ein großes Magazin, das seine Leser kennt, hat die Umfrage veranstaltet, anonym leider, um durch den Schutz der Unverantwortlichkeit den Mut zur Offenheit wirksam zu steigern. Man weiß diesmal also nicht, ob es sich um Tonfilm-Prominenzen, um die Besitzerinnen der schönsten Kleinautos, der schönsten Beine oder schlechtweg um Damen der Gesellschaft handelt. Aber gesetzt selbst, es wäre nichts von alledem; die Zeitschrift hätte die anonymen Antworten allesamt erfunden: ihr Wert wäre darum nicht geringer. Vielleicht sogar größer. Das Magazin kennt ja seine Leser; was es für sie erfindet, kann ihre Träume genauer erfüllen, als die Unbeholfenen selber es vermöchten. Man erfährt also, was sie eigentlich lieben.
    Ein Motiv geht durch die Antworten hindurch. Man soll es nicht voreilig den Hang zum Kindlichen nennen. Man muß genau zusehen, wie es sich gibt. Die erste meint: »Ich habe ihn gern, weil er mir so oft sehr kindlich vorkommt, ein ganz kleiner naiver Junge, weil er mich so notwendig braucht, weil er ohne mich in jede Grube fallen und von jedem Ziegelstein erschlagen würde. Dann habe ich ihn gern wegen vieler Kleinigkeiten: seine Leidenschaft für Wasser, Schwimmen, Duschen, Plantschen. Seine Art, mit großen gesunden Zähnen in Obst zu beißen.« Die nächste hat es anstatt mit den großen Zähnen mit der »reizenden Knabenstirn« zu tun: »Ich liebe seine Hilflosigkeit, den Seelenfrieden, mit dem er sie zu bemänteln versucht, und am meisten liebe ich, wenn er die Odyssee griechisch mit hochbayrischer Aussprache rezitiert. Außerdem liebe ich hauptsächlich noch am meisten« – so tautologisch spricht die gnädige Frau – »daß er nichts lernt und nichts vergißt und genauso klein ist wie auf seinem Erstlingsbild mit dem Holzpferdchen. Innen und außen ...« Weniger ungeschickt ist der folgende; aber seine Geschicklichkeit scheint allein die Kehrseite des Ungeschicks der anderen: »Ich könnte Ihnen auf Ihre Frage sagen: ›Weil er Nägel in Wände einschlagen und elektrische Sicherungen ansetzen kann, Autoreifen auswechseln kann, und auch weil er einige Varietétricks beherrscht‹ – aber das sind, so schwerwiegend sie auch für ein weibliches Gemüt sein mögen, nicht die wahren Gründe.« Was aber sind die wahren? »Der Grund ist die Tatsache, daß er ein ›Bub‹ ist! Ein Siebenunddreißigjähriger, der den Lausbuben nie abgestreift hat, der mich mit großen, und wenn Sie's auch nicht glauben, reinen Kinderaugen ansieht ...« Auf den Traum-Monteur folgt das Maurerbaby: »Wo gebaut und gebuddelt wird, da steht er mit dem Eifer und mit den Fachkenntnissen eines Sextaners, Hände auf dem Rücken, und findet erregt, daß da alles ›wieder ganz falsch‹ gemacht wird.« Die nächste beschäftigt sich abermals mit dem Gurgeln und Plantschen, diesmal mit umgekehrtem Vorzeichen: »Wenn er morgens die gepolsterte Verbindungstür zwischen dem Schlaf- und Badezimmer zumacht und nebenan plantscht und gurgelt – ohne daß ich es höre. Wenn er dann frisch rasiert, im gebügelten Anzug, tipptopp ›Adieu, mein Liebes‹ sagt und fortgeht.« Über Gurgeln, Nageln, Mauern kommt freilich auch die Psychologie nicht zu kurz. Die sieht dann so aus: »...daß er einfacher ist als ich – obwohl er klüger ist. Es rührt mich immer wieder, daß er sich restlos über mich ärgert oder mich restlos bewundert. Daß er nicht ein bißchen Frau ist. Denn Frau bin ich selber genug.« Die Formel aber, die für alle gilt, lautet: »Das Siegerlächeln. Ein glückliches, stolzes, ein klein bißchen brutales Lächeln. Das Lächeln, das das Bewußtsein ausstrahlt, Herr zu sein, die liebende Frau zu vollkommener Willfährigkeit gebracht zu haben. Das Lächeln, das trotz aller Versprechungen von Gleichberechtigung offen zugibt, daß er sich als der Gebende, der Freude Spendende fühlt.« So sieht er aus, der liebe Junge.
    Man wende nicht ein, hier sei es die mütterliche Natur, die rede.

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