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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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sich an wie das weiche Fell oder die dicke Haut. Eine weitere Art wären Städtebilder, die aus architektonischen Aufrissen entwickelt waren, sowohl kubistisch wie infantilistisch aussahen und überdies an Cézanne erinnerten, rosa getönt wie in wirklicher Morgensonne – deutlich sah ich so ein Gemälde. Benno Reifenberg habe über die praktikable Malerei einen Aufsatz veröffentlicht unter dem Titel: »Die Versöhnung mit dem Objekt«.
     
    Frankfurt, Januar 1954
    Ich hörte Hitlers unverkennbare Stimme aus Lautsprechern tönen mit einer Ansprache: »Da gestern meine einzige Tochter einem tragischen Unglücksfall zum Opfer gefallen ist, so ordne ich zur Sühne an, daß heute sämtliche Züge entgleisen.« Laut lachend aufgewacht.
     
    Frankfurt, Ende Oktober 1955
    Ich sollte – wohl als Schauspieler – an einer Aufführung des Wallenstein mitwirken, nicht auf der Bühne, aber in einem Film- oder Fernsehprogramm. Meine Aufgabe war, mit Personen des Stücks zu telefonieren; etwa mit Max Piccolomini, Questenberg, Isolani. Ich rief an und verlangte den jungen Fürsten Piccolomini – obwohl erst am Schluß, als Max schon tot ist, sein Vater Fürst wird. Er kam, eine Figur wie St. Loup, äußerst reizend und liebenswürdig. Ich fragte ihn, ob er der Einfachheit halber in meine Pension – in Berlin – herüberkommen und mit mir Lunch haben wollte. Er sagte sofort zu. Äußerst zufrieden mit mir selbst setzte ich mich in einen Lehnstuhl: »Das hast du gut gemacht.« Sogleich jedoch überfiel mich die peinigende Sorge: nun weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.
     
    Frankfurt, 12. November 1955
    Ich träumte, ich müsse das soziologische Diplomexamen machen. Es ging sehr schlecht in empirischer Sozialforschung. Man fragte mich, wieviele Spalten eine Lochkarte habe, und ich antwortete auf gut Glück: zwanzig. Das war natürlich falsch. Noch schlimmer stand es um die Begriffe. Es wurden mir eine Reihe englischer Termini vorgelegt, deren exakte Bedeutung in der empirischen Sozialforschung ich angeben sollte. Einer lautete: supportive. Ich übersetzte ganz brav: stützend, Hilfe gewährend. Aber in der statistischen Wissenschaft sollte es das genaue Gegenteil, etwas durchaus Negatives bedeuten. Aus Mitleid mit meiner Ignoranz erklärte der Prüfende, nun mich in Kulturgeschichte drannehmen zu wollen. Er hielt mir einen deutschen Reisepaß von 1879 vor. An dessen Ende stand als Abschiedsgruß: »Nun auf in die Welt, kleines Wölfchen!« Dies Motto war aus Blattgold gebildet. Ich wurde gefragt, was es damit für eine Bewandtnis habe. Langatmig setzte ich auseinander, der Gebrauch des Goldes zu dergleichen Zwecken gehe auf russische oder byzantinische Ikonen zurück. Man habe es dort mit dem Bilderverbot sehr ernst genommen: nur für das Gold, als das reinste Metall, habe es nicht gegolten. Sein Gebrauch zu bildlichen Darstellungen wäre von dort auf Barockdecken, dann auf Möbelintarsien übergegangen, und die Goldschrift in dem Paß wäre das letzte Rudiment jener großen Tradition. Man war begeistert von meinem profunden Wissen, und ich hatte das Examen bestanden.
     
    Frankfurt, 18. November 1956
    Ich träumte von einer fürchterlichen Hitzekatastrophe. In der Glut – einer kosmischen – flammten in ihrer ehemaligen Gestalt sekundenlang alle Toten nochmals auf, und ich wußte: jetzt erst sind sie ganz tot.
     
    Frankfurt, 9. Mai 1957
    Mit G. hörte ich in einem Konzert ein großes Vokalwerk – wohl mit Chor. Darin spielte ein Affe eine hervorragende Rolle. Ich erklärte ihr, das sei der Affe aus dem Lied von der Erde, der dort weggegangen sei und nun hier gastiere, nach allgemeiner Praxis.
     
    Frankfurt, 10. Oktober 1960
    Kracauer erschien mir: Mein Lieber, ob wir Bücher schreiben, ob sie gut oder schlecht sind, ist doch ganz gleichgültig. Gelesen werden sie ein Jahr. Dann kommen sie in die Bibliothek. Dann kommt der Rektor und verteilt sie an die Kinner.
     
    Frankfurt, 13. April 1962
    Ich sollte ein Examen machen, mündliche Prüfung in Geographie, allein aus einer großen Zahl von Examinanden; wohl in der Universität. Mir wurde bedeutet, das sei eine große Vergünstigung auf Grund meiner anderen Leistungen. Geprüft wurde ich von Leu Kaschnitz. Sie stellte mir das Thema. Ich sollte genau bestimmen, welches Areal ein bestimmter, durch Bleistiftzeichen genau eingegrenzter Bezirk in einer älteren Beschreibung der Stadt Rom einnahm, einem grau broschierten, vergilbten Heft in Oktav. An Hilfsmitteln wurden mir

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