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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Welt
wirklich
untergehen werde. Das wurde mir bestätigt, so wie technisch versierte Leute reden, alle waren Fachleute. Am Himmel standen drei fürchterlich große, unmittelbar drohende Sterne, die ein gleichschenkliges Dreieck bildeten. Sie sollten kurz nach elf Uhr vormittags auf die Erde stoßen. Da ertönte aus Lautsprechern eine Stimme: um 8.20 wird noch einmal Werner Heisenberg sprechen. Ich dachte: das ist gar nicht er selbst, der den Weltuntergang kommentiert, nur die Wiederholung einer bereits mehrfach abgespielten Bandaufnahme. Mit dem Gefühl: genau so wäre es, wenn es wirklich geschähe, wachte ich auf.
     
    Frankfurt, 22. März 1966
    Ich träumte, Peter Suhrkamp habe ein großes kulturkritisches Buch geschrieben – auf plattdeutsch. Titel: Pa Sürkups sin Kultur. (Pa = Peter und Papa; Sürkup = Suhrkamp und der französische Admiral Surcouf; sin = sein und lateinisch sine.)
     
    Frankfurt, Februar 1967
    Ich wollte meinen juristischen Doktor machen, hatte mir auch ein Thema ausgedacht, von dem mir schien, daß es mir gemäß sei. Es lautete: Der Übergang vom lebendigen Menschen zur juristischen Person. Auch über die Methode bildete ich mir meine Vorstellungen. Sie sollte möglichst in Einklang mit der offiziell wissenschaftlichen sein. Ich wollte alle in der Literatur erreichbaren Bestimmungen der juristischen Person sammeln, ihre Differenzen von der lebendigen feststellen und daraus den Übergang konstruieren.
     
    1937–1967
     
     

Der Fischer Spadaro
     
    Das Urbild des Fischers Spadaro sind die hundertfünfundsiebenzig Abbilder, die, auf Capri, hundertfünfundsiebenzig Maler nach dem Original gefertigt haben. Vorher war er nur da, der schlichte Mann, und half abends auf der Barchetta das Meer und dessen Fische mit seiner Laterne beleuchten wie ein Stern, weil es andernfalls zu dunkel gewesen wäre; nun ist er selber symbolisch durchhellt ganz und gar. Er hat Meer und Sterne gleichsam überflüssig gemacht.
    Daß Massaniello ein neapolitanischer Revolutionär war und eine rote Mütze trug, weiß jeder Deutsche, und daß zum Andenken daran seine kleidsame Tracht bis auf den jüngsten Tag bewahrt bleibe, ist gewiß wünschenswert. Gleichwohl ließe sich nicht absehen, was aus der Historia im Laufe der Geschichte geworden wäre, hätten nicht die Maler zahlreich ihrer sich angenommen im Interesse der Ewigkeit. Und auch das Schicksal jener Maler und jener Ewigkeit läge im Ungewissen, wenn nicht der Fischer Spadaro beide zu retten vermöchte. An den Malern, die ihn formten, hat er sich geformt; ihren Untergang in Postkarten verschönte er, indem er ihn überlebte; den Zauber, mit dem sie so mächtig seine unwirkliche Gestalt der Wirklichkeit enthoben, hat er in die Wirklichkeit seines Daseins zurückverzaubert, das jetzt erst recht unwirklich wurde, und existiert sichtbar fortan weiter als Modell seiner selbst.
    Ungerecht freilich wäre es, wollte man das Verdienst daran ihm allein zumessen. Er ist der schlichte Mann geblieben, der er war. Höhere Mächte haben ihr Werk an ihm getan; er ist im Auftrag, wie gemeinhin Propheten im Auftrag zu handeln pflegen. Die Cook-Gesellschaft bewegt eine Bergbahn bis zum Rande des Vesuvkraters, wo die Reisenden des Windes wegen nur kurz sich aufhalten. Die den Vulkan bezwang, mag der Ewigkeit nicht feind sein und zahlt dem Fischer ein regelmäßiges und nach den Verhältnissen des Landes nicht unbeträchtliches Gehalt zur Anerkennung seiner Existenz und zur Hebung des Fremdenverkehrs. Als Gegenleistung trägt er gleichzeitig an verschiedenen Orten die rote Mütze, einen sorgsam verwahrlosten Shawl, einen Vollbart, der sich der wechselnden Capreser Beleuchtung anpaßt, und ein Paar geräumig schlaffe Hosen, die ihm die Würde des Alters verleihen. Bei ihrem Anblick rufen die langbezahnten amerikanischen Damen – Gäste der Cook-Gesellschaft – häufig »How lovely« aus. Herren aus Sachsen dagegen, die Rucksäcke tragen und kritischer sind, fassen ihren Eindruck dahin zusammen, daß er eben ein Original sei; aber das ist ihm ohnehin bekannt.
    Trotz dieser Erfolge fehlt es auch dem Fischer Spadaro nicht an Leid. Zwar sind die hundertfünfundsiebenzig Abbilder, sein Urbild, durchweg einander recht ähnlich, und auf das Rot zumal kann er sich getrost verlassen. Indessen nicht aller Unterschiede wurde das Schicksal Herr, obwohl doch keineswegs Not ist, daß ein Maler den Fischer Spadaro anders male als der andere. Jener aber malte ihn blitzenden Augs, den Enkel von

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