Gesammelte Werke
für manche gedeckt war, zu finden. Durch endlose Gänge machte ich mich allein auf die Suche. An einer Tafel, an der ich vorbeikam, fand eine heftige, sehr affektive Diskussion zwischen zwei männlichen Mitgliedern einer berühmten Bankierfamilie statt. Sie bezog sich auf eine eigentümliche Art ganz junger, kleiner Hummern, die auf eine solche Weise zubereitet waren, daß man – wie bei den amerikanischen soft crabs – die Schalen mitessen konnte. Es wurde ausdrücklich erklärt, das geschehe, um den Geschmack der Schalen, das Feinste, zu erhalten. Der eine Bankier, zuredend, machte das Argument sich zu eigen, der andere dachte an seine Gesundheit und beschimpfte seinen Verwandten wegen der Zumutung. Ich wußte nicht recht, was ich im Traum aus der Sache machen sollte. Einesteils fand ich den Streit übers Essen unwürdig, andererseits konnte ich mich der Bewunderung nicht entschlagen, daß so mächtige Leute souverän und rücksichtslos zu ihrem vulgären Materialismus sich bekannten. Übrigens kam das ganze Bankett nie über die Vorgerichte hinaus. Endlich fand ich, wie von selbst, meinen Platz. Bei meinem Couvert lag eine Karte mit meinem Namen, und ich staunte darüber, daß der Platz mich gleichsam erwartete. Noch mehr staunte ich, als ich entdeckte, daß eine mir wohlbekannte, protzenhafte Frau, von einer ganz anderen Seite kommend, meine Tischdame war. Nun wurden die eigentlichen Vorspeisen aufgetragen. Sie waren verschieden für Damen und Herren. Diese erhielten sehr kräftige, würzige, schmackhafte. Ich erinnere mich, daß winzige kalte Koteletten mit einer roten Sauce sich darunter befanden. Die Vorspeisen der Damen waren vegetarisch, doch von der erlesensten Art: Palmenmark, Lauch, gebratener Chicorée – es schien mir der Inbegriff von Raffinement. Da rief, zu meinem namenlosen Schrecken und unter der Aufmerksamkeit der Gesellschaft, meine Tischdame laut den Kellner wie in einem Restaurant, während es für ausgemacht galt, daß man bei der üppigen Einladung nichts sich fordern dürfe. Sie wolle nicht nur die Vorspeisen für Damen sondern auch die für Herren haben, es passe ihr nicht, benachteiligt zu werden. Ohne das Ergebnis ihrer Beschwerde abzuwarten, wachte ich auf.
Los Angeles, 15. Februar 1943
Agathe erschien mir im Traum und sagte etwa: »Karl Kraus war doch der witzigste und geistreichste aller Schriftsteller. Das kann man erst ermessen anhand der Notizbücher, die sich in seinem Nachlaß gefunden haben und die unbeschreiblichsten Bonmots enthalten. Ich will dir ein Beispiel geben. Eines Tages erhielt er von einem anonymen Verehrer einen riesigen Reisauflauf geschickt. Die Gabe war aber ziemlich schlecht, die Form quoll über, die Reiskörner bildeten ein Chaos. Kraus ärgerte sich und schrieb: ›Dieser Volksauflauf von einem Reisauflauf.‹« Laut lachend über den vermeintlich genialen Witz aufgewacht (morgens).
Los Angeles, 18. Februar 1948
Ich besäße ein voluminöses illustriertes Prachtwerk über den Surrealismus, und der Traum war nichts anderes als die genaue Vorstellung einer der Illustrationen. Sie stellte einen großen Saal dar. Dessen linke hintere Seitenwand – weit vom Beschauer – nahm ein unförmiges Wandgemälde ein, das ich sogleich als ›Deutsches Jagdstück‹ erkannte. Grün, wie bei Trübner, herrschte vor. Das Objekt war ein riesiger Auerochs, der, auf den Hinterbeinen aufgerichtet, zu tanzen schien. Die Länge des Saales aber war von einer Reihe genau ausgerichteter Objekte besetzt. Dem Bilde zunächst ein ausgestopfter Auerochs, etwa ebenso groß wie der auf dem Bild und ebenfalls auf den Hinterbeinen. Dann ein lebender, gleichfalls sehr großer, doch schon etwas kleinerer Auerochs, in der gleichen Pose. In dieser befanden sich auch die folgenden Tiere, erst zwei nicht ganz deutliche, braune, vermutlich Bären, dann zwei kleinere lebende Auerochsen und schließlich zwei Stück gewöhnliches Rindvieh. Das Ganze schien unter dem Befehl eines Kindes, eines sehr graziösen Mädchens in ganz kurzem grauen Seidenkleidchen und langen grauen Seidenstrümpfen. Es leitete die Parade wie ein Dirigent. Als Unterschrift aber stand unter dem Tableau: Claude Debussy.
Frankfurt, 24. Januar 1954
Ferdinand Kramer habe sich ganz der Malerei zugewandt und eine neue Gattung erfunden, die ›praktikable Malerei‹. Die sei derart, daß man einzelne gemalte Figuren herausziehen könnte, eine Kuh, oder ein Nilpferd. Die könne man dann streicheln, und das fühle
Weitere Kostenlose Bücher