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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Zeitschrift mit dem Aufdruck: Unseren Gästen gewidmet. Sie war von der Speisewagengesellschaft auf die Plätze gelegt worden. Bald kam auch der Schaffner und bat ohne einzutreten um die Fahrkarte. Haben wir Verspätung? Nein, antwortete der Beamte, wir sind ganz fahrplanmäßig. Auf dieser Strecke gibt es überhaupt keine Verspätung. Beim Aussteigen war der Mitreisende behilflich.
     

Der Morgen
     
    Ein Jüngling verbrachte seinen Urlaub in einem südlichen Kurhotel. Als er am Morgen, noch im Schlafanzug, zum Closet ging und öffnete, fand er auf dem Closet eine ältere Dame. Obwohl er sich beeilte, die Tür sogleich zu schließen, mußte er die Dame sehen. Sie trug ein schwarzes besticktes Kleid, unter dem hochgerafften Rock lange weiße Unterhosen, schwarze Stiefel. Die Dame begann zu murmeln. Als sie mittags im schwarzen Kleid auf die Veranda kam, verbeugte sich der Jüngling.
     
Erinnerung
    Der maßgebende Vertreter eines großen Unternehmens erzählte gelegentlich Folgendes: In Bezug auf Frauen habe ich ein sicheres Urteil. Ich bin darin sehr empfindlich, Bälle besuche ich niemals. In Baden-Baden lernte ich eine amerikanische Künstlerin kennen und verbrachte eine Woche mit ihr, in dem gleichen Hotel. Die Tage verflogen wie Stunden. Niemand fragte nach Namen und Wesen. Als wir uns trennten, wußten wir nichts voneinander. So wurde das Erlebnis eine schöne Erinnerung und ist es geblieben.
     
Klage
    Sogleich nach Anfang der Geschäftszeit, als die Flügeltür geöffnet worden war, betrat eine Frau, sorgfältig gekleidet, die Halle des Bankgebäudes und ging rasch auf den gegenüberliegenden Schalter für Devisen zu. Nach ihrem Begehr gefragt, verlangte sie den Herrn Generaldirektor zu sprechen. Dann sei sie hier falsch, die Direktion liege im ersten Stockwerk. Man möchte sie oben melden. Das sei leider zwecklos, da der Herr Generaldirektor voraussichtlich noch nicht im Hause sich befinde und für den ganzen Vormittag Besprechungen vorgemerkt seien. Jetzt begann die bislang ruhige Frau zu weinen: Sie müsse bei dem Herrn Generaldirektor dringend vorstellig werden. Man bedaure tatsächlich. Es ist darum, rief sie sehr laut aus, er will von meinem Jungen nichts mehr wissen, das ist traurig für ihn. Der Portier und ein Page, herbeigeläutet, entfernten die klagende Frau, in der Direktion wurde Meldung erstattet.
     
    Die Reise
     
    Beim Sohne eines Apothekers läutete der Provisor an: Ob er Herrn Baumann kenne. Weil Herr Baumann die gleiche Mittelmeerreise machen wolle wie der Provisor, und er sei ein Klassenkamerad des jungen Herrn. Er denke an dieselbe Route ab Genua: Malta, Gibraltar, Spanien, zum Schluß Marseille. Er müsse sehr wohlhabend sein, er habe sich genau nach allen Preisen erkundigt. Auch Herr Baumann wolle drei Wochen fortbleiben, die Fahrten ins Land eingerechnet. Er habe mit dem jungen Herrn zusammen Abitur gemacht. Der junge Herr sei aber erst später in die Oberprima eingetreten. Er habe seinen genauen Plan mit dem verglichen, den der Provisor schon ausführte, alle Hotels. Er habe übrigens mit dem jungen Herrn gelegentlich musiziert. Er sei ein großer, schöngewachsener, junger Mann. Der junge Herr müsse sich an ihn erinnern können. Leider hätten sie ja in den letzten Jahren fast jede Fühlung verloren. Das habe er ihm nur sagen wollen. Besten Dank.
     
Inkognito
    Eine Tante Anna klagte: Seit ich siebzig Jahre alt geworden bin, habe ich es schwer. Um dem Ansturm der Ehrungen zu entgehen, bin ich mit meiner besten Freundin am Geburtstage nach Wiesbaden gefahren. Nun muß ich schon seit vierzehn Tagen zu Hause bleiben, um die Glückwünsche entgegenzunehmen. Ich kann den Gratulanten, die von meiner Abwesenheit wußten, nicht zumuten, vergebens zu kommen. Immer noch erwarte ich Besuche.
     
Seminarabend
    Eine junge Dame, selbst immatrikuliert, nahm mit Studenten und Studentinnen an einem akademischen Seminar teil. Sie erschien kurz vor Beginn der Sitzung, zeitig genug, ihre näheren Bekannten zu begrüßen. Nach dem zweiten Glockenzeichen kam der Seminarleiter, um alsbald einige Thesen der Besprechung zu überlassen. Es redeten zunächst die beiden Assistenten und vertraten längere Zeit ihre abweichenden Meinungen. Dann wurde der zweite Assistent von einem Herrn sachlich bekämpft, der unmittelbar vor seiner Prüfung stand. Ihm schien die Behauptung des zweiten Assistenten der Wirklichkeit allzusehr entfremdet, ohne doch die Ausgangsthese an Tiefe zu erreichen. Der Seminarleiter

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