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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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mochte auf Seiten des begabten Herrn stehen, hielt sich aber noch zurück. Die junge Dame hörte alle Meinungen an. Sie entschied sich einzugreifen und wählte die Meinung des zweiten Assistenten. »Wenn ich Herrn Doktor richtig verstanden habe«, führte sie aus, »war seine Ansicht keineswegs wie behauptet wurde. Die Erfassung der Erkenntnis in diesem Bereich trifft fraglos auf ungeheure Schwierigkeiten. Allein bei gründlicher Untersuchung zeigt sich, daß Endpunkt und Ausgangspunkt in Wahrheit die gleichen sind.« »Sehr schön«, sagte der Seminarleiter. »Ich fürchte nur, daß nicht alle Anwesenden den Sinn dessen voll erfaßt haben, was Fräulein N. vortrug. Sie wollte sagen: Hier sei die Lösung nicht zufällig der Frage gleich; der Gegenstand fordere dies, um sie in sich aufzunehmen. Habe ich Ihre Auffassung richtig wiedergegeben, Fräulein N.?« Die junge Dame stimmte zu, ohne noch einmal das Wort zu ergreifen. Sie war nach der Seminarsitzung zum Abendessen geladen. Obschon sie nur ein kleines Abendkleid angezogen hatte, verbarg sie es unter ihrem Mantel, um von Studenten und Studentinnen nicht abzustechen. Als einzige jedoch in Hut und Mantel zog sie gleichwohl die Blicke der anderen auf sich. Eine halbe Stunde vor Seminarschluß war es für sie Zeit zu gehen. Sie erhob sich leise, nickte dem Seminarleiter zu und entfernte sich aus der Sitzung.
     
Visite
    Ein Chef kam in den Korrespondenzraum. Auf dem Schreibtisch des ersten Angestellten lagen zwei gleich hohe Stöße von Korrespondenz. Der eine war erledigt, der andere sollte noch erledigt werden. Zwischen dem Telefon und der Telefonuhr befand sich ein Gestell mit zahlreichen Stempeln. Am Tisch des zweiten Angestellten, der ebenfalls einen Armsessel hatte und rauchte, wurden Dispositionen getroffen. Dort war eine größere Reihe von Handbüchern angeordnet, die Rücken nach außen. An ihren Arbeitstischen saßen vier Damen. Die erste Dame durchblätterte geräuschvoll den Kurzschrift-Block. Die zweite Dame hämmerte mit allen Fingern auf der Maschine, während die dritte Dame hinter ihrer Maschine kaum zu sehen war und klingelte. Viele mit Papier gefüllte Ablegemappen waren auf dem Tisch und unter dem Tisch der vierten Dame gehäuft, das Mädchen war an seiner Maschine beschäftigt. Es fiel dem Chef schwer festzustellen, was gearbeitet wurde. Er verließ wortlos das Zimmer.
     
Gegenbesuch
    Zwei Freunde hatten sich zu einer Beerdigung verabredet. Der eine der beiden verkehrte gesellschaftlich im Hause der Tochter des Verschiedenen. Den anderen bestimmten vorwiegend berufliche Gründe an der Bestattung teilzunehmen, zumal er anschließend an die erste einer zweiten auf dem gleichen Friedhofe beizuwohnen hatte. Das Berufsauto des zweiten Freundes holte den ersten an seiner im Vorort gelegenen Wohnung ab. Beim Zusammentreffen im Büro fand sich ein auswärtiger Geschäftsfreund unerwartet ein. Die Herren fuhren gemeinsam weiter, die gekrümmte Pappelallee um die Peripherie. Alle drei hatten die Zylinder abgenommen, damit sie im niedrigen Auto nicht Schaden litten. »Ich finde es rührend«, sagte der erste Freund zum Geschäftsfreund, »daß Sie eigens aus Pirmasens herbeigeeilt sind, dies um so mehr, als Sie ja, soviel ich weiß, zu dem Verstorbenen nur in äußerst flüchtigen Geschäftsbeziehungen gestanden haben sollen.« »Das trifft nicht ganz zu«, entgegnete der Angeredete, »denn die Familien waren befreundet. Der Verstorbene kam ja anläßlich der Beisetzung meines seligen Vaters persönlich nach Pirmasens. Darum muß auch ich ihm die letzte Ehre erweisen.«
     
Freitod
    Fräulein Lucie wußte über den Tod folgendes zu berichten: Nach drei Uhr nachts, als die gnädige Frau vom Besuch bei dem Herrn Direktor zurückgekommen war, unterhielten wir uns beim Ausziehen. Sie erzählte, er sei heute abend so nett gewesen wie noch nie seit der Scheidung. Gute Liköre hätten zur guten Stimmung beigetragen. Er habe sich nach Einzelheiten aus dem Leben der gnädigen Frau erkundigt. Auch sei er überhaupt nicht müde gewesen. Als ich dann im Nebenzimmer nach der Kleinen schaute, hörte ich die gnädige Frau. Ich ging hinein und fand sie auf dem Bett mit dem Apparat. Sie rief: Berti, mein Berti, und hängte ein. Der Diener hatte den Tod gemeldet. Sie war von der Nachricht sehr erschüttert.
     
Lauter Lachen
    Als der Schwank zu Ende war, kam der Theaterdiener in die Garderobe und suchte eine der Darstellerinnen. Sie hatte in dem Stück die Rolle eines jungen

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