Gesammelte Werke
Soziologie zu denken. Parsons beansprucht, mit seiner allgemeinen Handlungstheorie allen Sozialwissenschaften die gesicherte Grundlage zu geben, ihre Gegenstandsbereiche und ihre Grundkategorien systematisch aus den Bedingungen menschlichen Handelns abzuleiten. Er verspricht damit der Soziologie Eigenständigkeit und bestimmt ihr einen Platz innerhalb der akademischen Arbeitsteilung.
Vor allem aber erklärt sich das Prestige seiner theoretischen Arbeiten aus der Absicht, Gesellschaft als System zu begreifen. Parsons' Soziologie entfernt sich, anschließend an die europäische Tradition, an Durkheim, Max Weber und Pareto, erheblich von jenen Formen der Soziologie, die zumal in den Vereinigten Staaten Theorie mit Sätzen bestenfalls mittlerer Reichweite identifizieren. Mit einem Minimum an Grundkategorien entwirft Parsons ein ungemein weiträumiges Gehäuse, in dem die von der empirischen Forschung ermittelten sozialen Tatsachen ihren Ort und ihre Erklärung finden sollen. Ein durchsichtiger Begriffsapparat, nach den Gesetzen klassifikatorischer Logik konstruiert, soll zu inhaltlich Wesentlichem, zur Einsicht in die Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenhangs verhelfen.
Schließlich wird man die Wirkung seiner Theorie damit verbinden dürfen, daß sie Sicherheit im Gang der soziologischen Erkenntnis verheißt. Ihre Konstruktionsprinzipien orientieren sich in weitem Maße an den methodologischen Postulaten der analytischen Wissenschaftslehre. Sie will szientifische Objektivität wahren, die Möglichkeit bieten, partikulare Einsichten in die Totalität ohne spekulative Risiken einzuordnen. Schlüsselbegriffe wie der der Rolle scheinen zu theoretischer Erklärung geeignet, ohne daß, wer ihrer sich bedient, zunächst befürchten müßte, allzusehr ins Kontroverse sich zu verstricken. An das Bedürfnis nach Sicherheit wird auch insofern appelliert, als die Invarianz solcher Kategorien der der Gesellschaftsstruktur selbst zugutekommt.
Hier setzt Bergmann ein Fragezeichen. Die Intention seiner Arbeit ist die der immanenten Kritik des Anspruchs wissenschaftlicher Neutralität und Objektivität, den Parsons' Theorie erhebt. Demonstriert wird das an konkreten sozialen Phänomenen. Thematisch ist vor allem, was Parsons über den Faschismus, über soziale Schichtung und das Problem der Herrschaft ausführt. Kritik an der allgemeinen Theorie wird kraft kritischer Analyse ihrer Applikationen geübt. Der zentrale Einwand lautet, daß Parsons die Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenhangs durch Werte und Normen hinreichend definiert sieht, während durch normative Kategorien allein nicht fixiert werden kann, wann ein gesellschaftlicher Zustand als funktional zu gelten hat. Neuere systematische Analysen stimmen mit dieser Kritik überein: Habermas zufolge definieren Wertsysteme keine »Sollzustände« einer Gesellschaft; und gerade der neopositivistischen Kritik sind Parsons' Bestimmungen der »funktionalen Einheit« und der »inneren Konsistenz« sozialer Systeme suspekt.
Am Detail wird von Bergmann dargetan, daß der formale Charakter der Soziologie Parsons' weit mehr Inhaltliches impliziert, als ihr und ihren methodologischen Postulaten prima facie anzumerken ist. Die Vernachlässigung der materiellen Momente im gesellschaftlichen Zusammenhang, vor allem der ökonomischen Inhalte von sozialen Strukturen, läßt Werte und Normen zu regulativen Prinzipien des Gesellschaftsprozesses werden, die normativen Kategorien verwandeln sich in solche der Verwaltung der Gesellschaft. Parsons' Soziologie mißt gesellschaftliche Phänomene – etwa die Sozialschichtung – am Maßstab der Ideologie einer Gesellschaft. Die gesellschaftliche Ordnung, das soziale Gleichgewicht, gilt als problemlos, solange nur die nach jenen Kategorien behandelten Gesellschaften funktionieren, also fortfahren, sich selbst zu erhalten. Einigermaßen gleichgültig ist die strukturell-funktionale Theorie gegen den Preis dafür: sie sieht davon ab, ob die Logik der Selbsterhaltung sozialer Systeme menschlichen Zielsetzungen und Interessen gehorcht. Woran aber eine Theorie sich desinteressiert zeigt, der Abstraktionsmechanismus, dem ihre Begriffsbildung gehorcht, ist für den Inhalt der Erkenntnis nicht gleichgültig. Ob man den Faschismus aus der Reaktion gefährdeter sozialer Gruppen mit »abweichenden Motivationen« oder aus Entwicklungstendenzen der Gesellschaft ableitet, die Wahl also der Schlüsselbegriffe, mit welchen analysiert wird, steuert die
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