Gesammelte Werke
mittelständischen Ideologie anhängen, konservativ gesteuert. Das vorkritische Bewußtsein der Lehrer reproduziert sich in den Antworten ihrer Schüler. Politische Bildung solchen Stils schafft schwerlich mündige Staatsbürger; sie vermag nicht den engen Gesichtskreis der Schüler zu durchbrechen und sie zu eigenen spontanen Erfahrungen zu befähigen.
Teschners Analyse macht den inneren Zusammenhang zwischen Schule und Gesellschaft, die Übereinstimmung des vermittelten politischen Bewußtseins mit bestimmenden gesellschaftlichen Tendenzen transparent. Zugleich zeigt sie, daß die Chancen für eine wirksame politische Bildung größer sind, als gemeinhin, auch von den Lehrern, angenommen wird. Aus dem empirischen Material ergab sich, daß die vorgefundenen Differenzen in den Kenntnissen und Auffassungen der Schüler von der Art des erteilten Unterrichts verursacht sind; als die ›besten Klassen‹ erwiesen sich die mit einem soziologisch orientierten Unterricht, will sagen, einem, der sich nicht auf die Übermittlung der Kenntnis formaler Ordnungen und Verfahrensregeln beschränkt, sondern auf das lebendige gesellschaftliche Kräftespiel eingeht, das in den politischen Phänomenen sich ausdrückt. Die Folgerung, daß nur eine stärker sozialwissenschaftliche Ausrichtung der politischen Bildung Erfolg verspricht, drängt sich auf. Sie wird von Teschner in einem besonderen Kapitel diskutiert und präzisiert. Politische Bildung muß Motive der Ideologiekritik aufnehmen. Sie vermag die Kruste von Gleichgültigkeit und Desinteresse zu durchbrechen, wenn es ihr gelingt, politische Vorgänge auf die Struktur der sie tragenden Interessen zu beziehen und einen einsichtigen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Zustand des Gemeinwesens und den persönlichen Belangen des Einzelnen. Die Hemmnisse der politischen Bildung erblickte die Pädagogik bisher meist in spezifisch deutschen obrigkeitsstaatlichen Traditionen oder auch einfach im allgemeinen Wohlstand. Indem Teschner aufzeigt, daß weder das eine noch das andere zutrifft, eröffnet er die Perspektive eingreifender Korrektur. Sie fügt der bestätigten Erkenntnis sich ein, daß politisch aufgeklärtes Bewußtsein abhängt von jener geistigen Autonomie, die herzustellen der allein legitime Sinn jeglicher Bildung ist.
Frühjahr 1968
Fußnoten
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Von Adorno und Ludwig von Friedeburg unterzeichnet.
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Vgl. Jürgen Habermas, Ludwig von Friedeburg, Christoph Oehler, Friedrich Weltz, Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten. Neuwied 1961.
»Betriebsklima« und Entfremdung
Die Ergebnisse der Studie * sind aus etwas größerem Abstand – und mit etwas größerer Freiheit der Deutung – zu betrachten, um Perspektiven zu gewinnen, die in unmittelbarer Nähe zum Material kaum sich öffnen.
Der Horizont des Ganzen wäre vielleicht damit abzustecken, daß das Denken der Befragten durchaus systemimmanent verläuft. Auch in kritischen Äußerungen wird nicht das Bestehende in Frage gezogen, sondern was immer negative Akzente trägt, erscheint als Mißstand innerhalb des Gegebenen und grundsätzlich auch als in dessen Rahmen korrigierbar. Man könnte, wofern man sich auf die Auswertung der Interviews beschränkt, dies Grundergebnis anzweifeln, nämlich es dem Forschungsinstrument zur Last schreiben, dessen vorgezeichnete Fragen andere Antworten als im abgesteckten Rahmen der Verhältnisse verbleibende kaum duldeten. Aber auch in den Gruppendiskussionen, die der freien Erwägung jegliche Möglichkeit gewähren, tritt das System als solches kaum je ernsthaft, und gar kritisch, ins Blickfeld, es sei denn, man nähme vage Erinnerungen an einige sozialistische Redewendungen als Ausdruck eines ›systemtranscendenten‹ Denkens. Gerade eine derartige Deutung jedoch wird vom Material nicht gestützt; selbst wo etwa Kapital und Arbeit erwähnt sind, und wo die Interessen der Arbeitenden denen der Kapitalisten entgegengehalten werden, wird jener Gegensatz im Sinne einer unvermeidlichen, gleichsam naturgegebenen Polarität hingenommen. Zwar möchte man dabei das Beste für sich selber und die Gruppe herausholen, zu der man sich rechnet, rührt aber in der eigenen Überlegung nicht an die Grundstruktur.
Womit die Systemimmanenz des Denkens der Befragten eigentlich zu begründen sei, dafür gibt die Untersuchung selbst keine Unterlagen an die Hand. Es ist um so schwieriger, darüber zu urteilen, als
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