Gesammelte Werke
in der Kritik der reinen Vernunft behandelten sind, dann ist die Notwendigkeit ihrer transzendentalen Auflösung vorgezeichnet; und wenn die Lehren vom Unbewußten in Widerspruch mit sich geraten, so darum, weil sie ohne transzendentale Bedingungen nicht auskommen können. Das letztere freilich allgemein einzusehen, bedarf es einer näheren Diskussion des Begriffs des Transzendentalen, der wir uns erst im Verlauf unserer prinzipiellen Behandlung der Unstimmigkeit der Lehren vom Unbewußten zuwenden können. Zuvor aber haben wir die Unstimmigkeit der eingrenzend charakterisierten Lehren selbst evident zu machen. Wir müssen, um die erste und fundamentale jener Unstimmigkeiten uns zur Klarheit zu bringen, uns vergegenwärtigen: daß allen Lehren vom Unbewußten es eignet, nicht allein logisch die Begriffe Bewußtsein und Unbewußtsein notwendig aufeinander zu beziehen; sondern daß alle Lehren vom Unbewußten das Unbewußte stets irgendwie als einen Tatbestand annehmen, der im Rahmen des Bewußtseins sich vorfindet. Unbewußte Tatbestände sind zwar für die herkömmlichen Lehren vom Unbewußten erfahrungstranszendent, stets aber bewußtseinsimmanent; häufig zwar als niemals in der Erfahrung verifizierbar angenommen, stets aber als psychisch aufgefaßt. Tatsachen, die dem Zusammenhang des Bewußtseins schlechthin transzendent sein sollen, werden, soweit etwa ihre Erkennbarkeit in Frage steht, in keiner Terminologie unbewußte, sondern stets unbekannte oder unerkennbare Tatbestände genannt. Unbewußte Tatbestände sind für die Lehren vom Unbewußten mit unbekannten oder gar unerkennbaren aber keineswegs identisch. Auf die Frage allerdings, woher wir etwas von prinzipiell unbewußten Tatsachen, solchen also, die zwar bewußtseinsimmanent, aber gleichwohl eben nicht bewußt sein sollen, wissen, geben uns die landläufigen Lehren vom Unbewußten keine andere Antwort als die, daß unser Wissen um jene Tatbestände aus einer besonderen Erkenntnisweise stamme, die sich zwar der Kontrolle durch die wissenschaftlichen Methoden entziehe, der aber eine besondere und unwiderlegliche Art der Evidenz eigne. Jedoch die zwangsläufige Auskunft, eine eigene, den unbewußten Tatbeständen angemessene Erkenntnisweise für die unbewußten Tatsachen anzusetzen, oder selbst der generelle Verzicht darauf, jener Tatbestände überhaupt irgend habhaft zu werden, ändert nichts daran, daß die unbewußten Tatbestände als bewußtseinsimmanent verstanden werden. Die Vorstellung von der konstitutiven Bedeutung des Unbewußten rührt daher, daß sie das Unbewußte als bewußtseinsimmanent und doch gleichzeitig dem erkennenden Bewußtsein unzugänglich oder nur durch besondere Erkenntnisweisen zugänglich bestimmt, es mit dem intelligiblen Charakter oder dem transzendenten Bewußtseinsgrund oder dem spontanen Zentrum oder all den metaphysischen Vorstellungen, die die Vernunftkritik traf, zu identifizieren scheinbar die Möglichkeit gibt. Alle metaphysischen Interpretationen des Begriffs des Unbewußten gehen davon aus, daß es als Unbewußtes bewußtseinsimmanent sein soll; und wie von den meisten nachkantischen Philosophien des Idealismus, Husserls Phänomenologie nicht ausgenommen, in einer seltsamen Interpretation des Kantischen Grenzbegriffs die vollständig bekannten immanenten Dinge an sich mit den transzendenten Ursachen der Erscheinungen gleichgesetzt werden, so wird für die Philosophien des Unbewußten das Unbewußte gerade durch seine immanente, bewußtseinseigene Konstitution zum transzendenten und absoluten Erfahrungsgrund. Die Mystik jener Beziehung gilt es daher vor allem zu durchschauen; in ihr sind alle weiteren Unstimmigkeiten im philosophischen Gebrauch des Begriffs des Unbewußten bereits angelegt. Es liegt auf der Hand, daß, wofern dem Prinzip der Identität genügt wird, nicht eine Sache zugleich bewußt und unbewußt sein kann, und diese Behauptung ist es ja gerade, die die mystische Interpretation des Begriffs des Unbewußten ermöglicht. In ihrer schlichten und uninterpretierten Gegenüberstellung sind die Begriffe bewußt und unbewußt widersprechend, und die Aussagen: »a ist bewußt« und »a ist unbewußt« schließen einander aus. Es muß, falls die Rede vom unbewußten Bewußtsein oder vom bewußten Unbewußten nicht überhaupt ein Nonsens ist, ein äquivoker Gebrauch der Begriffe vorliegen. Da der Begriff des Unbewußtseins, so wie wir ihn für unsere Kritik gefaßt haben, nicht anders bestimmt ist denn als
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