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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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jenes Begriffes mit sich bringt. Daß wir dabei nicht auf Grund einer sicheren Definition vorgehen, braucht uns so wenig zu bestürzen wie es uns überraschen darf. »Daß man es in der Philosophie der Mathematik nicht so nachthun müsse, die Definition voranzuschicken, als etwa nur zum bloßen Versuche«, ist die Meinung Kants in der Methodenlehre der Vernunftkritik, und weiter: »Würde man nun eher gar nichts mit einem Begriffe anfangen können, als bis man ihn definirt hätte, so würde es gar schlecht mit allem Philosophiren stehen ... In der Mathematik gehört die Definition ad esse, in der Philosophie ad melius esse.« 2 Wir dürfen uns durch die Unmöglichkeit, der immanenten Betrachtung der erkenntnistheoretischen Struktur der Lehren vom Unbewußten eine verpflichtende Definition des Begriffes zugrunde zu legen, um so weniger beirren lassen, als ja die Unabhängigkeit jenes Begriffes von Definitionen neu zu den hauptsächlichen Programmpunkten wichtiger jener Lehren – vor allem der Bergsons – zählt und wir jene Unabhängigkeit vom definitorischen Verfahren den Lehren vom Unbewußten zunächst einmal vorgeben müssen, um später festzustellen, ob sie nicht doch mit impliziten Definitionen arbeiten oder, worauf es sachlich weit mehr noch ankommt, ob nicht der Gang der wissenschaftlichen Analyse zur Bildung einer Definition des Begriffs des Unbewußten nötigt. Um die Abneigung der Unbewußtheitslehren gegen die definitorische Methode recht zu verstehen, ist ein zweites Hauptmotiv der Bildung jener Lehren zu bedenken: die Minderbewertung der Erfahrung, die Kant als Erbe der Leibniz-Wolffischen Metaphysik übernommen hat, charakterisiert die Kantische Bewußtseinsphilosophie ihrer Methode nach wesentlich als definierende Methode, und der theologisch-ontologisch gegründete Widerstand gegen jene Bewußtseinsphilosophie nutzt als Einwand wider die Bewußtseinsphilosophie ihren definitorisch-rationalistischen Charakter und akzeptiert Elemente der empiristischen Kritik, deren Grund doch die Unbewußtheitsmetaphysik ganz fern ist. Es ergibt sich daraus die paradoxe Situation, daß die metaphysisch intendierte Kritik der Kantischen Bewußtseinsphilosophie in ihrem Kampf gerade jene Bestandteile der Kantischen Lehre angreift, in denen sich deren metaphysische Herkunft ausprägt, nämlich die Bewußtseinsontologie, und daß sie, um nur den Rechtsanspruch von Bewußtsein auf Konstitution der Realität zu widerlegen, sich dabei der Hilfe gerade solcher empiristischer Argumente bedient, die nicht allein den Resten der Leibnizschen Bewußtseinsontologie bei Kant widerstreiten, sondern ebensosehr den metaphysischen Ansprüchen der Unbewußtheitslehre selber. Jene Motive indessen, von den Philosophien des Unbewußten einmal in die Diskussion der Kantischen Philosophie geworfen, zielen zugleich über die kritische Absicht der Unbewußtheitsphilosophien hinaus, leiten sachlich zu einer Rektifizierung von Kants Auffassung der Psychologie und schließlich eben zu jener klaren Bestimmung des Unbewußten, gegen die sich die Unbewußtheitsphilosophien als »rationalistisch« wenden. Die Philosophien des Unbewußten übernehmen in ihrem Kampf gegen die Kantische Bewußtseinsphilosophie das Erbe der empiristischen Kritik des Rationalismus und fordern damit indirekt die wissenschaftliche Klärung des Begriffs des Unbewußten. Das Problem der
Merkmalatomistik
insbesondere wird durch die Abweisung des definitorischen Verfahrens der Bewußtseinsphilosophie nachdrücklich gestellt und damit die Korrektur jenes Verfahrens herbeigeführt. Indem der definitorischen Methode gegenüber die Bedeutung der deiktischen durchgesetzt wird, wird schließlich die Zurückführung des Begriffs des Unbewußten auf den Zusammenhang der Erfahrung erzwungen, dem der Begriff historisch gerade entgegengesetzt war. So eröffnet die methodische Unmöglichkeit des Beginns mit einer definierenden Festlegung des Begriffs des Unbewußten den Aspekt einer sachlichen Lösung des Problems des Unbewußten: sie leitet zum Rückgang auf die Vorfindlichkeiten des Bewußtseins. Diesen Rekurs zu vollziehen sind wir allerdings noch nicht in der Lage. Wir haben es zunächst mit der erkenntnistheoretischen Struktur der Lehren vom Unbewußten zu tun, der wir uns, nachdem wir uns über das prinzipielle Verhältnis jener Lehren zur Transzendentalphilosophie und die Unmöglichkeit einer Definition des Unbewußten vor Vollzug unserer Kritik klar sind, ohne weiteres zuwenden

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