Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
Lebewesen, von denen der Mensch bisher gar nichts oder nur wenig wusste. Der Meeresschutz besaß Informationen über gigantische Schildkröten mit langen Hälsen und Schwänzen, über Drachen und Tiefseespinnen, die irgendwo in den Klüften südlich der Bonin-Inseln nisteten, und über das »Ozeangeschmeiß«: kleine Raubfische, die in Schwärmen zu Tausenden und Abertausenden anderthalb bis zwei Kilometer tief dahinzogen und alles vernichteten, was ihnen in den Weg kam. Bisher hatte noch keine Möglichkeit, aber auch keine direkte Veranlassung bestanden, all diese Informationen zu überprüfen.
Kondratjew wendete die Submarine vorsichtig, um das Tier nicht aus dem Blickfeld zu verlieren.
»Geh näher ran«, bat Below. »Ein Stückchen näher noch!«
Er atmete Kondratjew laut ins Ohr. Die Submarine ging langsam auf Nähe.
Kondratjew schaltete das Visier ein, und auf dem Bildschirm flammte ein helles Fadenkreuz auf. Der schmale Fleck bewegte sich seitlich davon.
»Warte noch, Kondratjew«, bat Below. »Nicht so schnell.«
Kondratjew wurde ärgerlich. Er bückte sich, kramte irgendwo zu seinen Füßen das Tonband hervor und reichte es über die Schulter ruckartig in die Dunkelheit hinein.
»Was ist los?«, fragte Below verdrossen.
»Hier, das Tonband«, sagte Kondratjew. »Halt fest: Tiefe – achthundert. Ziel anvisiert.«
»Das schaffen wir allemal.«
»Geben Sie’s mir«, bat Akiko.
»Beg your pardon.« Below hüstelte. »Dass du ja nicht auf ihn schießt, Kondratjew! Zuerst müssen wir ihn uns anschauen.«
»Na, dann schau«, erwiderte der Kommandant.
Die Entfernung zwischen Tier und Submarine verringerte sich. Jetzt bestand kein Zweifel mehr, dass es sich um einen Riesenkalmar handelte. Wären nicht die Praktikanten gewesen, Kondratjew hätte keinen Augenblick gezögert; das durfte ein Mitarbeiter des Meeresschutzes nicht, denn kein Tiefseebewohner hatte der Walaufzucht solche Verluste zugefügt wie der Riesenkalmar. Die Besatzungen sämtlicher Submarinen hatten Order, das Tier unverzüglich zu vernichten. Sobald der Tintenfisch im Zentrum des Fadenkreuzes lag, wurden die Torpedos losgeschickt, für gewöhnlich zwei, manchmal aber auch drei, der Sicherheit halber. Die Torpedos bewegten sich auf dem Ultraschall-Leitstrahl und explodierten unmittelbar neben dem Zielobjekt. Auf das Donnern hin kamen im Nu von allen Seiten Haie angeschwommen.
Kondratjew nahm mit Bedauern den Finger vom Abzugshahn.
»Schau nur«, wiederholte er, an Below gewandt.
Vorerst war allerdings nicht das Geringste zu erkennen. Selbst im klarsten Meerwasser bestand bestenfalls eine Sicht von fünfundzwanzig bis dreißig Metern. Nur der Ultraschalllokator gestattete, Zielobjekte auf eine Entfernung bis zu einem halben Kilometer auszumachen.
»Schneller«, forderte Below aufgeregt.
»Nicht so hitzig«, erwiderte Kondratjew.
Die Submarinen vom Meeresschutz hatten die Aufgabe, die Planktonkolonien vor den Walen und die Wale vor den Raubfischen zu schützen. Für Forschungszwecke waren sie hingegen nicht geeignet, da sie zu viel Lärm machten. Zog es ein Kalmar vor, der Begegnung mit einer Submarine aus dem Weg zu gehen, verschwand er, noch bevor der Kommandant die Projektoren eingeschaltet und ihn ins Blickfeld genommen hatte. Ihn zu verfolgen war ein unsinniges Unterfangen: Die gigantischen Kopffüßer entwickelten eine Geschwindigkeit, die dreimal höher lag als die des schnellsten Schutzfahrzeugs. Kondratjew baute allein auf die erstaunliche Furchtlosigkeit und Angriffslust des Kalmars, die ihn bisweilen dazu bewog, sich in einen Kampf mit den blutrünstigen Pottwalen oder einem ganzen Schwarm von Schwertwalen einzulassen.
»Sei ganz vorsichtig«, bat Below überaus freundlich.
»Noch Sauerstoff?«, fragte Kondratjew wütend.
Akiko fasste ihn sacht bei der Schulter. Sie stand schon ein Weilchen über den Bildschirm gebeugt da, und ihre Haare kitzelten Kondratjew an Ohr und Wange.
»Er sieht uns«, sagte sie.
»Nicht schießen!«, rief Below.
Der Fleck auf dem Bildschirm – er war jetzt groß und nahezu rund – glitt ziemlich schnell nach unten. Kondratjew lächelte zufrieden. Der Kalmar begab sich unter die Submarine, nahm also eine Angriffsposition ein. Er dachte gar nicht daran zu entwischen, forderte den Kampf vielmehr selbst.
»Lass ihn nicht weg«, flüsterte Below.
»Er wird entkommen«, befürchtete Akiko.
Die Praktikanten durchschauten das Manöver des Kalmars nicht. Kondratjew senkte den Bug der Submarine,
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