Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
wandte er den Blick ab und schenkte seine Aufmerksamkeit einer blauen Libelle, die auf einem Grashalm hin und her schaukelte. Seine Lippen formten sich zärtlich zu einem Trichter, und er sagte: »Ach, Libelle, kleine Libelle, wie blau du bist … Und der See so blau … ein richtiges Prachtexemplar. Du sitzt still da und hältst Ausschau, wen du verspeisen könntest …« Er streckte die Hand nach ihr aus, doch die Libelle löste sich von dem Grashalm und flog in weitem Bogen zum Binsendickicht hinüber. Er folgte ihr mit seinem Blick, dann streckte er sich wieder im Gras aus. »Wie kompliziert das alles ist, meine lieben Freunde«, seufzte er. Mascha setzte sich unverzüglich hin und verschlang ihn fast mit ihren großen Augen. »Sie ist vollkommen, elegant und mit allem zufrieden! Sie hat eine Fliege verspeist, sich vermehrt, und schon ist’s Zeit für sie zu sterben. Einfach und zweckmäßig. Keine Seelenpein, und von Liebesqualen, Selbsterkenntnis und dem Sinn des Lebens keine Spur …«
»Sie ist eine Maschine«, sagte Mascha unvermittelt. »Eine langweilige Maschine.«
So ist sie, meine Mascha! Um ein Haar hätte ich laut losgelacht, hielt mich aber zurück. Nur kurz prusten musste ich, was mir einen missbilligenden Blick von ihr einbrachte.
»Stimmt«, sagte Gorbowski. »In gewissem Sinne langweilig. Jetzt aber, Freunde, stellt euch mal eine Libelle mit einer schreiend grüngelben Färbung vor, mit roten Querstreifen, einer Flügelspannweite von sieben Metern und Kiefern voll mit schwarzem, ekligem Schleim. Könnt ihr das?« Er zog die Brauen in die Höhe und sah uns an. »Ich sehe schon, es fällt euch schwer. Ich jedenfalls bin halb tot vor Angst davongerannt, als ich auf eine solche traf, dabei trug ich ein Gewehr bei mir. Die Frage ist aber, was diese beiden langweiligen Kyber gemein haben.«
»Die grüne Libelle«, begann ich, »war von einem anderen Planeten, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Von der Pandora?«
»Richtig«, bejahte Gorbowski.
»Was die beiden gemeinsam haben?«
»Ja.«
»Ist doch klar«, sagte ich. »Ein und dasselbe Niveau der Informationsverarbeitung. Sie reagieren auf der Ebene des Instinkts.«
Gorbowski seufzte.
»Das sind nur Worte«, wandte er ein. »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es sind wirklich nur Worte. Sie helfen mir nicht weiter. Meine Aufgabe besteht darin, im All nach Spuren von Intelligenz zu suchen, doch ich habe keine Vorstellung davon, was Intelligenz ist. Die Leute liegen mir in den Ohren – mit Informationsverarbeitung, mit dem unterschiedlichen Niveau, und ich weiß auch selber, dass dieses Niveau bei mir anders ist als bei einer Libelle. Aber letzten Endes sind das doch nur Vermutungen! Oder können Sie sich dafür verbürgen, dass der Termitenbau, den ich neulich fand, kein Werk des Verstandes ist? Auf dem Mars und der Wladislawa sind wir auf Gebäude ohne Türen und Fenster gestoßen – handelt es sich dabei um Spuren von Intelligenz? Wonach also soll ich suchen? Nach Ruinen? Nach Inschriften? Nach einem verrosteten Nagel? Einer Siebenkantmutter? Woher soll ich wissen, was für Spuren fremde Wesen hinterlassen? Vielleicht besteht für sie der Sinn des Lebens darin, Atmosphäre zu vernichten, wo immer sie darauf stoßen? Oder Ringe um Planeten zu errichten? Oder Hybride zu schaffen? Oder das Leben überhaupt erst zu erzeugen? Möglicherweise ist diese Libelle ein kybernetischer Apparat, der vor Urzeiten entwickelt wurde und sich selbst reproduziert? Von den Intelligenz trägern spreche ich erst gar nicht. Zwanzigmal kann man an einem eklig glitschigen Vieh vorübergehen, das sich in einer Pfütze suhlt, und angewidert seinen Blick abwenden. Dabei schaut einen das Tier vielleicht mit herrlich gelben Glotzaugen an und denkt: Sieh da, zweifellos eine neue Gattung. Wir müssen eine Expedition hierher entsenden und wenigstens eins dieser Exemplare fangen …«
Gorbowski bedeckte die Augen mit der Hand und begann ein Liedchen zu summen. Mascha verschlang ihn wiederum fast mit den Augen und wartete sehnsüchtig auf die Fortsetzung. Auch ich wartete. Dabei dachte ich mitleidig: Was für ein schlechtes Arbeiten bei einer so unklaren Aufgabenstellung. Schwierige Sache. Man stolpert blind vor sich hin und empfindet weder Freude noch Befriedigung. Schon öfter hatte ich von den Astroarchäologen gehört, die ich freilich nicht richtig ernst nahm. Das tat übrigens kaum jemand.
»Aber es gibt Intelligenz im Kosmos«, fuhr Gorbowski plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher